Junge Menschen, die an Panikattacken leiden, weisen im Vergleich zu Gesunden ein deutlich höheres Infarktrisiko auf. Zu diesem Ergebnis gelangt die bislang weltweit größte Studie – und stellt Ärzte nicht nur in UK vor neue Aufgaben.
Erstmals attestieren Medizinforscher vom University College London das, was viele Ärzte irgendwie ahnten, aber bislang noch nicht anhand harter Statistiken belegen konnten: Angststörungen und Panikattacken gehen mit massiven kardiologischen Spätfolgen einher. Zwar gelten Zusammenhänge zwischen Depressionen und dem verstärkten Auftreten von Myokardinfarkten als gesichert und sind weitgehend untersucht. Doch erst der vor kurzem von Kate Walters im Fachblatt European Heart Journal veröffentlichte Artikel zeigt in ungewohnter Deutlichkeit, wie die Psyche das Herz des Menschen ernsthaft in Gefahr bringt.
650 Arztpraxen aus der General Practice Research Database dienten dabei als Datenquelle, 57.615 Patienten mit diagnostizierten Angststörungen oder Panikattacken bildeten die Grundlage der Studie. Hinzu kam eine aus 347.039 als unauffällig diagnostizierten Menschen bestehende Kontrollgruppe. Damit zählt die Kohortenstudie mit insgesamt 404.654 Patienten nicht nur für Großbritannien zu den wichtigsten Untersuchungen dieser Art. „Die Ergebnisse lassen sich auf alle anderen Länder mit einer ähnlichen soziodemographischen Struktur übertragen“, kommentiert Emma Mason, Sprecherin des EHJ, die Publikation. Die Auswertungsergebnisse der Untersuchung jedenfalls lassen aufhorchen. Wer nämlich bis zu einem Alter von 50 Jahren eine Panikattacke erlitt, wies im weiteren Verlauf seines Lebens eine um 38 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit auf, einen Herzanfall zu erleiden, als Patienten ohne vorausgehende Panikanfälle. Das Risiko einer Herz-Kreislauferkrankung liegt sogar um 44 Prozent höher als bei jenen, die in dieser Altersgruppe frei von Panik und Angst sind.
Interessanterweise nähert sich mit zunehmendem Alter das Herz-Erkrankungsrisiko beider Gruppen an. Menschen, die erst nach dem 50. Lebensjahr an Angststörungen leiden, weisen mit 11 Prozent nur noch ein deutlich geringeres kardiologisches Risiko auf. Wie komplex Psyche und Herz miteinander verschaltet sind, demonstriert höchst eindrucksvoll die Sterblichkeit der Patienten mit Panikattacken – im Vergleich zu „gesunden“ Pendants sinkt sie bei einer Herzattacke um fulminante 24 Prozent. Warum Angst und Panik zunächst das Herz in die Bredouille bringen, dann aber zu signifikant höheren Überlebensraten führen, ist noch ein Rätsel. „Womöglich suchen Menschen auf Grund ihrer psychischen Probleme den behandelnden Arzt öfter auf, was potenzielle Herzfehler rechtzeitig erkennen hilft“, mutmaßt Walters. Hinzu komme jedoch vermutlich ein weiterer Aspekt, schreibt die Londoner Forscherin. Danach führt die Panikattacke zunächst zu einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems, was wiederum die Arterien belastet und letztendlich die Herzrate verändert. Warum die Herzprobleme erst nach Jahren zu Tage treten, vermag freilich auch diese These nicht zu erklären.
Fehldiagnose als Risikofaktor
Fest scheint aus Sicht der Londoner Mediziner nur eins zu stehen: Viele Ärzte stellen auf Grund einer ähnlichen Symptomatik die falsche Diagnose. So kann ein diffuser Schmerz in der Brust zwar ein Indiz auf einen drohenden Infarkt sein – wohl aber auch die Form einer Panikattacke. Weil den meisten Medizinern das bekannt ist, kommt es laut Walters zu einer erhöhten Fehldiagnoserate. Vor allem Menschen unter 50 haben der Studie zufolge gute Chancen, bei einem Herzfehler als Angstpatienten identifiziert zu werden – was die höhere Sterblichkeit erklären könnte. Eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Kardiologen, Allgemeinmedizinern und Psychiatern sei daher angebracht, fordern die Studienautoren. Weil die Forscher ausgerechnet Daten des britischen GPRD auswerteten, lassen sich die Aussagen zumindest für Großbritannien verallgemeinern – die angeschlossenen Kliniken und Praxen gelten als repräsentativ. Darauf zu hoffen, dass es sich bei den Ergebnissen lediglich um eine Momentaufnahme handelt, wäre unangebracht: Die Studie nahm den Zeitraum 1992 – 2002 unter die Lupe.