Wer in Europa bisher das Hormon der Zirbeldrüse schlucken wollte, um keinen Jetlag zu kriegen oder um geistig reger zu werden, musste sich in US-Drogerien bedienen. Jetzt gibt es Studien mit einem Analogpräparat. Eine Einführung in Apotheken wird denkbar.
Nein, man kann nicht gerade behaupten, dass mit dem Zeug in großem Maßstab gedealt wird. Aber beliebt ist Melatonin schon in Europa. Gerade unter Ärzten, die viel zu Kongressen zu über den Atlantik jetten, finden sich nicht wenige, die auf Melatonin schwören, um die Folgen des Jetlags abzumildern und um den Symposien mit den US-Kollegen geistig reger folgen zu können. In den USA ist das ohnehin gang und gäbe: Dort finden sich Melatoninpräparate in den Regalen für Nahrungsergänzungsmittel in vielen Drugstores. Die Europäer freilich hatten bisher ein Beschaffungsproblem, denn Melatonin ist hier nicht legal erhältlich.
US-Ärzte lassen es zirbeln
Melatonin ist das Hormon der Zirbeldrüse, in der Descartes einst die menschliche Seele lokalisiert zu haben meinte. Das Hormon gilt als ein wichtiger Player in der Regulation der zirkadianen Rhythmik. Als solcher hat es auch Einfluss auf die Schlafqualität, gerade in Situationen wie Reisen über Zeitzonen hinweg, in denen die zirkadiane Rhythmik artifiziell durcheinander gebracht wird. Das Problem bei Melatonin war bisher, dass zwar sehr viele Konsumenten von seiner Wirksamkeit Stein und Bein überzeugt sind. In Studien freilich hat reines Melatonin bisher nicht wirklich beeindruckt. Und auch das in den USA seit 2005 zugelassene Melatoninanalogon Ramelteon gilt als allenfalls mäßig wirksam, weshalb Hersteller Takeda seinen Zulassungsantrag in Europa im September 2008 zurückgezogen hatte. Doch jetzt kommt wieder Bewegung in die Zirbeldrüse: In der Fachzeitschrift The Lancet berichten Ärzte von zwei Studien mit einem neuen Melatoninanalogon, mit der Substanz Tasimelteon. Und hier werden nun bessere Daten berichtet. Sie lassen es denkbar erscheinen, dass auch die störrische Europäische Zulassungsbehörde EMEA demnächst die Jetlag-Pille durchwinkt. Die würde dann zwar nicht in Drogerien, wohl aber in Apotheken erhältlich sein.
Schlafklinik simuliert den Flug nach Bangkok
Bei den beiden Studien handelt es sich um je eine randomisierte, placebokontrollierte Phase II- und Phase III-Studie. In der Phase II-Studie erhielten 39 gesunde Probanden 10, 20, 50 oder 100 Milligramm Tasimelteon oder aber Placebo. Der Beobachtungszeitraum lag bei sieben Nächten. In den ersten dreien wurde geschlafen wie gehabt. Dann wurde in einer Schlafklinik für eine abrupte Zeitverschiebung von fünf Stunden gesorgt, wobei die Probanden früher ins Bett gingen als normal (Flug Richtung Osten, in etwa bis Bangkok). Die Studienteilnehmer wurden daraufhin drei Nächte vor dem Zubettgehen behandelt. Die letzte Nacht diente der Kontrolle ohne Medikation. Das Design der Phase III-Studie war ähnlich: 411 Personen erhielten entweder 20, 50 oder 100 Milligramm Tasimelteon oder Placebo. Die Behandlung erfolgte 30 Minuten vor dem Schlafengehen. Im Schlaf wurden EEG, Elektrookulogramme und Elektromyogramme aufgezeichnet. Endpunkte waren der Anteil des Schlafs an der im Bett verbrachten Zeit, die so genannte Schlafeffizienz, und die Zeit bis zum Einschlafen, die Schlaflatenz.
Besser schlafen als vorher!
Die Resultate sind recht überzeugend: Während die Probanden im Placebo-Arm der Studie die zu erwartenden Probleme beim Ein- und Durchschlafen hatten, war das in den Verum-Armen der Studie weit weniger ausgeprägt. Der Effekt auf die Gesamtschlafzeit war dabei dosisabhängig, was für den postulierten Wirkmechanismus spricht. Im Einzelnen schliefen die Probanden je nach Dosis des Tasimelteon um bis zu zwei Stunden länger als bei Placebotherapie, wobei der Effekt ab der zweiten Nacht deutlich nachließ. Das führen die Wissenschaftler auf physiologische Umstellungseffekte zurück. Auch die Zeit bis zum Einschlafen war kürzer, wenn mit dem Melatonin-Analogon behandelt wurde. In der Gruppe mit der hohen Dosis von 100mg schliefen die Probanden trotz Zeitverschiebung sogar schneller ein als vorher. In einem begleitenden Editorial sieht Dr. Daniel Cardinali von der Universität Buenos Aires Anwendungsgebiete der neuen Substanz bei Touristen, Schichtarbeitern, Flugpersonal und Fußballmannschaften. Die Verträglichkeit scheint gut zu sein, und von Abhängigkeitspotenzial ist bislang nichts bekannt. Auf Wiedersehen also in der Apotheke? Möglich. Der Hersteller Vanda Pharmaceuticals jedenfalls jubiliert schon mal.