Immer weniger Bakterien tun unter Antibiotikagabe das, was sie tun sollen: Sterben. Den Anfang machten die Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA). Neue Zahlen zeigen jetzt, dass die Dynamik bei einigen anderen Keimen deutlich größer ist als beim Schreckgespenst Nummer eins.
„Immer häufiger, immer hoffnungsloser“ – Das ist in etwas kondensierter Form die Botschaft, die viele Ärzte und im Gefolge viele Medien wieder und wieder aussenden, wenn es um Methicillin-resistente Staphylokokken geht, kurz und dramatisch MRSA genannt. Und scheinbar stimmt das ja auch. Wer sich die so genannte MRSA-Quote, also den Anteil von MRSA-Staphylokokken an allen Staphylokokken, über die vergangenen 15 Jahre ansieht, kann zu keinem anderen Schluss kommen. Noch Ende der 90er Jahre war diese Quote vernachlässigbar klein. In den Jahren 2005 und 2006 lag sie den Daten des europäischen EARSS-Registers und des deutschen GENARS-Netzwerks zufolge bereits bei über 20 Prozent, wenn in Labors analysierte Blutkulturen ausgewertet wurden. 2007 war sie dann etwas niedriger, bei 16 Prozent.
Statistik einmal anders
Diese Daten lassen sich aber auch anders lesen, wie Dr. Christine Geffers vom Hygieneinstitut der Charité Berlin beim 33. Interdisziplinären Fortbildungsforum der Bundesärztekammer erläuterte. Denn die MRSA-Quote ist in der Praxis letztlich uninteressant. Was zählt, sind durch MRSA verursachte Infektionen. Und die sind seit Jahren stabil oder gehen sogar zurück. Beispiel Intensivstationen: Hier lag die so genannte Inzidenzdichte, also die Zahl der Infektionen pro tausend Patiententage, für MRSA bei 0,3. Zehn Jahre zuvor waren es noch rund fünfzig Prozent mehr. Wie das? „Der Grund ist, dass die S.aureus-Infektionen insgesamt auf Intensivstationen stark zurückgegangen sind“, so Geffers. Die Zahl der MRSA-Infektionen ist zwar auch zurückgegangen, aber nicht im selben Ausmaß. Folge: Der relative Anteil an MRSA an allen auf Intensivstationen identifizierten Aureus-Staphylokokken legte zu. Einige Caveats sind freilich zu berücksichtigen. So stammen die Daten zu den Staphylokokkeninfektionen auf Intensivstationen aus einem Netzwerk von Kliniken, das nicht notwendigerweise repräsentativ ist. In einer deutschlandweiten Auswertung könnten die Zahlen schlechter aussehen. Und: Unabhängig von der aktuell eher günstigen Dynamik bleibt MRSA in Sachen Resistenzen klar der Problemkeim Nummer eins: „Wir gehen derzeit von 20.000 nosokomialen MRSA-Infektionen pro Jahr in Deutschland aus“, betonte Geffers. Im Mittel sei derzeit einer von 68 Intensivpatienten ein MRSA-Patient.
Bei anderen Keimen geht die Post ab
Bei anderen resistenten Keimen liegen diese absoluten Zahlen sehr viel niedriger. So werden beispielsweise nur bei einem von 1.111 Patienten auf Intensivstationen Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) nachgewiesen. Und nur bei jedem 476. Patienten finden sich so genannte Extended-Spectrum-Beta-Lactamase (ESBL)-bildende Bakterien. Verschwindend wenig, sollte man meinen. Aber die relative Dynamik ist eine andere. Sowohl bei VRE als auch bei ESBL-Bildnern sind die Resistenzquoten im Steigflug. Beispiel VRE: Hier hat sich der Anteil an allen nachgewiesenen Enterokokken in Deutschland innerhalb eines Jahres auf 15 Prozent (Stand 2007) verdoppelt. Bei den ESBL-Bildnern ist die Entwicklung noch dramatischer. Hier sind es vor allem die ESBL-bildenden Escherichia coli, die den Infektiologen zunehmend Sorgen bereiten: „Da geht gerade wirklich die Post ab“, so Geffers. Auch ESBL-bildenden Klebsiellen werden mehr.
MRSA ist ein Ossi, VRE ein Wessi
Einen neuen Blick auf das Thema Resistenzen erlauben die Zahlen zur regionalen Verteilung der resistenten Keime. Wer sich die MRSA-Statistiken ansieht, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass MRSA ein Ossi ist. In den neuen Bundesländern und in dem ja auch irgendwie östlichen Bayern fühlt sich dieser Keim sehr viel stärker zu Hause als im Norden und Westen der Republik. Wer jetzt den Zeigefinger gen Osten erheben und bessere Hygiene anmahnen möchte, sollte ihn aber schnell wieder wegstecken. Bei den VRE-Quoten nämlich sind Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen die Problemkinder. Der Osten und Bayern rangieren hier unter ferner liefen. Mit der europäischen Brille wird das in Sachen MRSA im europäischen Mittelfeld liegende Deutschland übrigens zum kritischen Patienten, wenn die VRE-Quoten betrachtet werden: Kaum ein anderes europäisches Land steht hier so ungünstig da wie wir.