Bevor Fachzeitschriften Berichte publizieren, müssen Gutachter in der Regel ihr Placet dazu geben. Aus Gründen der Unparteilichkeit bleiben die Reviewer, oft aber auch die Autoren, unsichtbar. Immer mehr Journals beugen sich jedoch der Forderung nach mehr Transparenz.
„Es ist sehr leicht, jedes Manuskript zu entwerten, ohne die Daten zu verbiegen.“, sagt Niko Kriegeskorte, Neurowissenschaftler am englischen Medical Research Council. „Alles, was du machen musst, ist, die Stärken und Schwächen des Papers zu zu sehen und sich dann ganz auf die Schwächen zu konzentrieren.“ Mit der Forderung nach weiteren zusätzlichen Experimenten, so der Experte weiter, könne man die Karriere jedes Doktoranden um Jahre verzögern.
Reicht ein Forscher die Ergebnisse seiner Arbeit in Form eines Manuskripts für die Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift ein, so entscheidet ein anonymer Gutachter oft nicht nur über die Veröffentlichung, sondern zuweilen auch über das Schicksal eines ganzen Projekts. Denn die Konkurrenz schläft nicht und hat den Vorsprung vielleicht während einer langwierigen Begutachtung schon eingeholt. Oder der Gutachter gehört selber zur Konkurrenz. Nicht selten finden sich bei ehrenamtlichen Gutachtern Fehler in den Beurteilungen. Fehler, die in einem offenen Prozess berichtigt werden könnten. Wäre es da nicht an der Zeit, ein transparenteres Verfahren zur Prüfung von Manuskripten einzurichten? Eines, bei dem die Namen von Autor und Gutachter nicht nur der jeweils anderen Seite, sondern auch der Öffentlichkeit bekannt sind? Am besten vielleicht noch eines, bei dem auch die Hinweise und Korrekturen des Gutachters für den Leser sichtbar werden?
Schon im 17. Jahrhundert führte die Londoner Royal Society das Peer-Review-Verfahren für wissenschaftliche Arbeiten ein, um die Daten, Arbeitsweise und Berichterstattung von Forschern zu überprüfen. Im letzten Jahrhundert meinte man, die besseren Ergebnisse mit einem anonymen Verfahren zu erzielen. Erst in den neunziger Jahren gab es erste Versuche mit mehr Offenheit, auch wenn schon vorher in vielen Fällen die Namen der Autoren für die Gutachter nicht verblindet wurden. Das Medical Journal of Australia war eines der ersten, das sich für eine wirklich offene Begutachtung entschied. Von März 1996 bis Juni 1997 veröffentlichte es 56 wissenschaftliche Artikel zusammen mit dem Gutachten der Reviewer im Netz und gab sie für Kommentare frei. Erst danach wurde der oft noch einmal veränderte Artikel endgültig abgedruckt. Seit 1999 erfahren Gutachter und Autoren voneinander, bevor der Herausgeber entscheidet, ob er den Artikel annimmt und veröffentlicht. 2006 startete schließlich Nature einen vier Monate währenden Open-Peer-Review-Versuch, jeden nicht sofort abgelehnten Artikel für öffentliche Kommentare zuzulassen, vorausgesetzt, die Autoren stimmten diesem Verfahren zu. Allerdings machten nur wenige Leser von diesem Angebot Gebrauch. Knapp die Hälfte der 71 Artikel blieb ganz ohne Feedback, kein Beitrag erhielt mehr als 10 Kommentare. Schließlich wurde der Versuch wieder eingestellt. Auch die Fachzeitschrift PLOS One startete 2006 mit einer Kommentarspalte, auch dort wurde sie kaum genutzt.
Mit der Zeit fingen immer mehr Fachzeitschriften an, ganz unterschiedliche Modelle des Open Peer Review auszuprobieren. Autoren und Reviewer bleiben beim EMBO-Journal oder dem European Journal of Immunology nicht länger anonym, wenn sie das wollen. Bei e-life (wie auch beim EMBO-Journal) können mehrere Reviewer auch ohne Auftrag Kommentare zum eingesandten Paper abgeben, bevor der Herausgeber eine Entscheidung über Annahme oder Ablehnung fällt. Das Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics sammelt zwei Monate lang Kommentare auf einem Diskussionsforum vor dem Entscheidungs- oder Überarbeitungsprozess des Manuskripts. Die Fachzeitschriften des Elsevier-Verlags Annals of Medicine and Surgery und das International Journal of Surgery sind Teil eines Pilotprojekts, das bis Ende dieses Jahres dazu führen soll, dass sämtliche Kommentare des Gutachters bei allen Elsevier-Zeitschriften veröffentlicht werden können. Auch das European Journal of Neuroscience hat sich seit Ende letzten Jahres zu einem freiwilligen Verzicht auf die Anonymität entschlossen. Niko Kriegeskorte praktiziert als regelmäßiger Gutachter für diese Fachzeitschrift schon seit längerem viel mehr: Manuskripte, die er begutachtet, müssen zuvor auf einem öffentlichen „Preprint-Server“ abgelegt sein. Seine Anmerkungen veröffentlicht er gleich nach getaner Arbeit auf seinem Blog, sodass der Autor und alle Interessierten die Möglichkeit haben, diese nicht nur zu lesen, sondern auch zu kommentieren.
Noch gehört Kriegeskorte zu einer Minderheit der Gutachter, die mit ihrem Namen auch öffentlich zu ihren Kommentaren stehen. In einer Umfrage erfuhr Elsevier von den Gutachtern mit optionalem Open-Peer-Review, dass Zeitmangel wohl der häufigste Grund für die Scheu vor der Öffentlichkeit sei. Immerhin dauert es im Durchschnitt vier bis fünf Stunden, sich durch einen Forschungsbericht zu arbeiten und dazu eine konstruktive Kritik niederzuschreiben. 91 Prozent der „anonymen“ Gutachter gaben an, dass jedoch die Öffentlichkeit nicht der Grund für ihre Entscheidung zur Verblindung sei. Immerhin 36 Prozent wären bereit, sich beim nächsten Auftrag auf ein Open-Peer-Review einzulassen. Die Erfahrungen der Zeitschriften mit mehr Transparenz sind überwiegend positiv. Oft werden Fehler von Reviewern in einer offenen Diskussion berichtigt. Besonders unter jungen Autoren ist die offene Auseinandersetzung mit ihren Ergebnissen beliebt – nicht zuletzt aufgrund der dadurch entschärften Hierarchie. Denn noch immer kommt es vor, dass die Beurteilung der Werke von „alten Hasen“ allein aufgrund ihres Namens wohlwollender ist als die von „jungen Hüpfern“. Andererseits können sich auch Gutachter, die noch nicht so lange im Geschäft sind, mit guten Kommentaren ihre Meriten verdienen.
Ein offenes Gutachterverfahren könnte möglicherweise auch Betrügereien mit dem Peer-Review verhindern, wie sie beispielsweise vor etwa zwei Jahren ans Licht kamen. Dabei erhielten die Herausgeber von Fachzeitschriften Manuskripte, in denen auch gleich kompetente Reviewer vorgeschlagen wurden. Die angegebenen Mail-Adressen führten über verschlüsselte Umwege jedoch nicht zu den zugehörigen Namen kompetenter Gutachter, sondern zurück zum Absender, der dann die vorteilhaften Reviews für den Autor des Manuskripts schrieb. Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, wurden im August 2015 rund vierundsechzig Artikel in knapp einem Dutzend verschiedenen Zeitschriften zurückgezogen. Allem Anschein nach machten dabei unter anderem auch dubiose Firmen Geschäfte, die ihren Forscher-Kunden gegen Gebühr „Hilfe“ beim Einreichen einer Veröffentlichung und ein wohlmeinendes Gutachten garantierten.
Wenn Zeitmangel das größte Hindernis für ein offenes Review-Verfahren ist, könnte man meinen, dass die Herausgeber große Mühe haben, überhaupt Experten für diese Tätigkeit zu finden. Eine französische Studie zeigt jedoch, dass es genug Experten gäbe, auch bei der ständig zunehmenden Zahl an Veröffentlichungen jedes Manuskript gründlich zu prüfen. Bei 70 Prozent der Reviewer macht die Gutachtertätigkeit nur ein Prozent ihrer Arbeitszeit aus. Nur bei jedem 10. überschreitet sie eine 13-Prozent-Marke. Nur die Zahl der „pflichtbewussten“ ehrenamtlichen Gutachter scheint sich stark in Grenzen zu halten: Nur ein Fünftel aller möglichen Wissenschaftler mit ausreichend Expertise begutachtete 69 bis 94 Prozent aller eingereichten Arbeiten. Auch bei der Gleichstellung der Geschlechter scheint es noch zu hapern. Eine Untersuchung unter 142 Fachzeitschriften zeigte, dass weibliche Herausgeber sehr viel öfter weibliche Gutachter auswählen und männliche vor allem Männer. Gerade bei so renommierten Wissenschaftszeitschriften wie Nature oder JAMA liegt die Quote der abgelehnten Manuskripte bei über 90 Prozent. Für Gutachter ist somit eine gute Begründung der ausgeübten Kritik eine große Herausforderung. Im Sinne der Fairness sollten jedoch auch bei diesen Zeitschriften die Experten vor der Öffentlichkeit nicht zurückschrecken. Wie Niko Kriegeskorte erkennen immer mehr Gutachter die Vorteile eine Open-Peer-Reviews. Das zeigt auch ein Beispiel aus der Zeitschrift Social Studies of Science: Entgegen des üblichen doppelblinden Review-Verfahrens entschied sich eine Gutachterin, ihre Identität aufzudecken, wie die Danksagung von Claudia Castañeda und Lucy Suchman in ihrem Artikel zeigt: „Wir danken den drei anonymen Reviewern für ihre wohl durchdachten Kommentare und Verbesserungsvorschläge und besonders Donna Haraway, die, ohne uns zu kennen, ihre Identität als vierter außerordentlich hilfreicher Gutachter preisgab.“