Wie dosiere ich Schmerzmittel für Kinder richtig? Zuwenig erzeugt ein Schmerz-Gedächtnis und Angst, zuviel sorgt für unerwünschte Nebenwirkungen. Mit einem Lachgas-Gemisch und selbst-kontrollierter Inhalation lässt sich das Problem lösen.
Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Wer hat diesen Spruch noch nicht aus dem Mund der Eltern oder eines Arztes gehört? Mit dem Zähne-zusammenbeißen tun sich Kinder aber besonders schwer. Gerade Kleinere können weder abschätzen, warum die Behandlung weh tun muss, noch wie lange das "Au" dauert. Kinder- und Jugendärzte kennen meist etliche Patienten, bei denen bereits der Anblick einer Spritze Geschrei auslöst. Die Mutter schafft es nicht mehr, ihren Sprößling zu beruhigen und schlimmstenfalls agiert der Arzt am festgehaltenen Kind. "Eine unzureichende Ausschaltung von Schmerzen und Stressfaktoren bei schmerzhaften medizinischen Eingriffen im Kindesalter kann sich langfristig negativ auf die spätere Schmerztoleranz und den Umgang mit Schmerzen auswirken", sagt Sergio Stocker, leitender Kinderarzt am Kantonsspital im schweizerischen Schaffhausen. Umso wichtiger ist es, schon früh im Leben eines Kindes unnötigen Schmerz zu vermeiden.
Gas gegen das Schmerzgedächtnis
Weil sich aber aber gerade im Schmerzmittelsektor viele Ärzte über die Dosierung unsicher sind, geben sie im Zweifelsfall eher zuwenig davon. Aus Furcht vor Nebenwirkungen müssen die kleinen Patienten halt etwas mehr Schmerzen aushalten. Für die Psyche dieser Klienten dürfte eine neue - alte - Möglichkeit der Analgesie bei Schmerzen im unteren und mittleren Bereich gerade recht kommen. Seit Sommer letzten Jahres ist auch für Kinder ein Gasgemisch zugelassen, das je zur Hälfte aus Lachgas (N2O) und Sauerstoff besteht und von Linde unter dem Handelsnamen "Livopan" vertrieben wird. Neue Technik erlaubt es dem Kind, selber über das Ausmaß seiner Betäubung zu entscheiden.
Lachgas in der Medizin ist Geschichte: Bereits 1844 zog der Zahnarzt Horace Wells mit seiner Hilfe seinen Patienten ohne Schmerzen kranke Zähne. Rund 120 Jahre später, 1965, setzten Ärzte bei Entbindungen, aber auch bei schmerzhaften Verbandswechseln "Entonox" ein, das Pendant zu Livopan im englischsprachigen Raum. Seine Vorteile: Die Patienten blieben durchgehend wach und konnten den Zufluss des Gases bei Bedarf selbst regeln. Die Angst vor Nebenwirkungen schränkte den Gebrauch jedoch wieder ein: In höheren Konzentrationen beeinflusst Lachgas den Folsäure-Stoffwechsel und verändert das Blutbild. "Manch ein junger, dynamischer Chefarzt hat die Leitungen für Lachgas in seinem Haus daher in den vergangenen Jahren einfach komplett herausreißen oder abdrehen lassen." berichtet Martin Jöhr, Anästhesist im Luzerner Kantonsspital.
Neue Inhalationsmasken für mehr Kontrolle
Inzwischen hat das Gasgemisch aber eine Renaissance erlebt. Neu entwickelte Atemmasken und Mundstücke lassen das Gas nur dann ausströmen, wenn der Patient aktiv einatmet. Das Analgetikum ist damit für Kinder ab vier Jahren geeignet, sobald sie Belehrungen verstehen und darauf reagieren können. Sie können die Behandlung stoppen, sobald sie ihnen unangenehm wird. Die Masken verringern auch die Belastung der Schwestern mit ausströmendem Lachgas. Mobile Absaugsysteme fangen im ambulanten Bereich das ausgeatmete Gas ein und spalten N2O mittels Katalysatortechnik in seine ungefährlichen Bestandteile.
Wichtigster Vorteil der neuen Methode zur Schmerzbehandlung ist die schnelle Wirkung. Nach sechs bis acht Atemzügen gelangt das Gas über die Lunge ins Gehirn. Dort sorgt es für Entspannung und Schläfrigkeit, lässt aber das Kind nicht einschlafen. "Der genaue Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig bekannt, aber wahrscheinlich wirkt das Gas an den Opioid-Rezeptoren.", meint Emily Harrop vom Great Ormond Street-Kinderkrankenhaus in London. Denn dort wirkt auch Naloxon als partieller Antagonist.
Mehrere Studien haben den Wert einer solchen Alternative zu klassischen Schmerzmitteln bestätigt. Eine französische multizentrische Untersuchung mit über 1000 Kindern fand im Jahr 2000 eine durchwegs gute Wirkung, die nur in wenigen Fällen versagte. Die Ärzte konnten damit Lumbalpunktionen, Knochenmarkaspirationen, Frakturen oder endoskopische Untersuchungen weitgehend schmerzfrei durchführen. Auch Untersuchungen in London bestätigten bei 81 Prozent der Kinder eine "exzellente" Analgesie bei Kindern zwischen vier und fünfzehn.
Kein Allzweckmittel
Wiebke Simmerling vom Schwabinger Krankenhaus in München rät bei stärkeren Schmerzbelastungen allerdings zu zusätzlichen Analgetika. Und Colette Bourgeois und Henri Kuchler von der Klinik im Schweizer Sion weisen in Ihrem Beitrag in "Pediatrica" auch auf die Kontraindikationen wie Gesichtsverletzungen, Schädeltraumata oder etwa einen Pneumothorax hin. Bei mehr als 15minütiger Inhalation kommt es dann zunehmend zu Nebenwirkungen wie Euphorie oder Träumen.
Wer selber kontrollieren kann, wie stark er seine Schmerzen ausschaltet, begegnet dem Arzt meist auch bei anderen Eingriffen mit mehr Verständnis. Vielleicht trägt der Indianer, der keinen Schmerz kennt, in Zukunft immer öfter eine Maske.