Brüssel bestimmt immer stärker auch die Gesundheitspolitik. Nach dem Apothekenurteil des EuGH wartet die Szene jetzt auf ein Verdikt zum Thema Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber. Bis dahin herrscht vor allem an der Hilfsmittelfront gespannte Ruhe.
Es war ein kurzes Intermezzo, aber es war ordentlich chaotisch. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, die Hilfsmittelversorgung auszuschreiben. Der ursprüngliche Plan war, dass dies nach einer Übergangsfrist ab 2009 dann auch verpflichtend wird.
Politik geht einen Schritt zurück
Die Rationale dahinter ist klar: Wenn Krankenkassen nach Art der Rabattverträge bei Arzneimitteln Hilfsmittel ausschreiben, dann lässt sich auf diesem Sektor vielleicht in ähnlicher Weise Geld sparen wie bei den generischen Pillen. Auf mindestens 300 Millionen Euro schätzen Insider das Einsparpotenzial bei den Hilfsmitteln für die GKV. Eine Ausschreibungspflicht musste der Gesundheitspolitik da geradezu zwangsläufig erscheinen. Allerdings: Die Dinge kamen etwas anders als ursprünglich vorgesehen. Ende 2008 war nämlich das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV endlich in Sack und Tüten, kurz und bürokratisch GKV-OrgWG genannt. Und plötzlich war wieder alles anders: „Dieses Gesetz hat aus der Muss-Bestimmung des GKV-WSG wieder eine Kann-Bestimmung gemacht“, sagt Daniela Piossek, Leiterin des Referats Krankenversicherung beim Bundesverband Medizintechnologie BVMed im Gespräch mit DocCheck. Was waren die Gründe für diesen formidablen Schritt rückwärts? Piossek glaubt davon einige zu kennen: „Wir haben als Folge der Ausschreibungspflicht unter anderem erhebliche Versorgungsdefizite gesehen, etwa in den Bereichen der Inkontinenz- oder der Antidekubitusprodukte. Die Ausschreibungspflicht führte dazu, dass der Wettbewerb fast ausschließlich über den Preis geführt wurde und die Qualität auf der Strecke blieb.“
Unprofessionell und schlampig
Es gab auch noch andere Probleme: So waren die Ausschreibungen, die in den Jahren 2007/2008 erfolgten, zum Teil mit erheblichen Mängeln behaftet. Teilweise waren die Voraussetzungen gar nicht gegeben, um überhaupt ausschreiben zu können. Die Folge: Die Ausschreibungen flogen den Krankenkassen reihenweise um die Ohren, und noch immer ist noch nicht alles aus dieser Zeit gerichtlich abgearbeitet. Politisch induzierte Beschäftigungstherapie für Juristen. Der mit dem GKV-OrgWG gestartete Rückzug kam also nach einer Periode handfester Probleme, um nicht zu sagen totalem Chaos. Die derzeit aktuelle Regelung besagt, dass Krankenkassen weiterhin ausschreiben können, wenn sie das möchten. Alternativ gibt es die Möglichkeit der Verhandlungsverträge, an denen sich die Hilfsmittelleistungserbringer beteiligen oder zu denen sie beitreten können. „Es gibt Krankenkassen, die weiter ausschreiben werden, aber etliche waren dem ganzen Thema gegenüber auch sehr kritisch eingestellt und sind froh, dass sie nun wieder die freie Wahl beim Vertragsfindungsprozess haben. Wichtig für uns ist nun, dass die Leistungserbringerverbände zusammen mit dem GKV-Spitzenverband schnellstmöglich gemeinsame Kriterien zur Unzweckmäßigkeit von Ausschreibungen festlegen“, so Piossek.
Sparen bei Hilfsmitteln kommt wieder auf die Tagesordnung
Soll heißen: Das Thema Ausschreibungen ist nicht vom Tisch, und so war es politisch auch nicht gedacht. Vor allem Vertreter größerer Hilfsmittelunternehmen geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass durch Ausschreibungen durchaus erhebliche Einsparpotenziale realisiert werden könnten. Denn wenn in Ausschreibungen bestimmte Stückzahlen fest zugesagt werden, können die Preise anders kalkuliert werden als wenn es nur vage Anhaltspunkte gibt, wie das bei den Verhandlungsverträgen der Fall ist. Möglicherweise fällt die Entscheidung ohnehin in einer ganz anderen Ecke. Noch im Frühjahr wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erwartet, der sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber anzusehen sind. In diesem Fall müssten sie unter bestimmten Bedingungen dann europaweit ausschreiben – egal was die deutsche Gesundheitspolitik gerne hätte oder nicht. Berlin ist im Moment also out: Die Hilfsmittelbranche schielt erwartungsvoll gen Brüssel.