Deutsche Forscher haben einen neuen Genmarker entdeckt. MACC1 erlaubt eine frühe Voraussage, bei welchen Patienten mit Dickdarmkrebs ein erhöhtes Metastasierungsrisiko besteht. Adjuvante Chemotherapie könnte Patienten mit hohen MACC1-Werten eventuell helfen.
Dickdarmkrebs ist die zweithäufigste Tumorerkrankung in Deutschland. Trotz vielfältiger Behandlungsmöglichkeiten verstirbt etwa die Hälfte der Patienten innerhalb von fünf Jahren an Metastasen. Bei rund 20 Prozent aller Darmkrebspatienten hatte der Tumor schon bei der Diagnose Absiedelungen in anderen Organen gebildet, bei weiteren 30 bis 40 Prozent treten diese erst im weiteren Krankheitsverlauf auf. Obwohl ein Zusammenhang zwischen dem Tumorstadium und dem Auftreten von Metastasen besteht, können auch Patienten Metastasen bekommen, deren Tumor in einem frühen Stadium entdeckt und durch eine Operation scheinbar erfolgreich behandelt wurde. Bisher lässt es sich kaum abschätzen, welche Patienten tatsächlich geheilt werden und welche Gefahr laufen, Metastasen zu entwickeln.
Krebsforscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin und der Berliner Charité haben nun ein Gen identifiziert, mit dem sie bei Dickdarmkrebs erstmals mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen können, ob der Tumor zur Metastasenbildung neigt. Wie die Wissenschaftler und Ärzte um Peter M. Schlag im Fachblatt Nature Medicine berichteten, spielt das Gen MACC1 bei der Entstehung von Metastasen eine wichtige Rolle. Sie stellten fest, dass Patienten mit Dickdarmkrebs ein geringeres Metastasierungsrisiko und damit eine höhere Lebenserwartung hatten, wenn die Aktivität von MACC1 niedrig war. MACC ist die Abkürzung für Metastasis Associated in Colon Cancer.
MACC1 lässt Krebszellen wandern
MACC1 befindet sich auf Chromosom 7 und enthält die Bauanleitung für ein Protein, das die Produktion eines weiteren Proteins anregt: Dieses HGF-Rezeptorprotein ist zentraler Bestandteil der so genannten HGF-Met-Signalkaskade. Sie fördert im aktivierten Zustand die Fähigkeit von Krebszellen, sich aus dem geordneten Zellverband eines Gewebes zu lösen und sich an einem anderen Ort im Körper anzusiedeln. „Das ist einer der ersten und wichtigsten Schritte bei der Metastasierung“, sagt Professor Schlag, der Direktor des Charite Comprehensive Cancer Center ist. Noch ist unklar, welche Funktion MACC1 normalerweise in gesunden Zellen ausübt; Schlag zufolge könnte es in der Embryogenese eine wichtige Rolle spielen.
Dem Gen auf die Spur kamen die Wissenschaftler, als sie Gewebeproben von 60 Patienten mit Dickdarmkrebs, die zur Zeit ihrer Operation frei von Metastasen waren, auf die Aktivität verschiedener Gene untersuchten. Bei 37 Patienten, die fünf Jahre nach der Operation noch metastasenfrei waren, zeigte sich, dass das Tumorgewebe bei der Erstdiagnose eine niedrige MACC1-Aktivität aufwies. Dagegen hatten 23 Patienten, in deren Tumoren der MACC1-Wert stark erhöht war, nach fünf Jahren Metastasen bekommen.
Adjuvante Chemotherapie bei hohen MACC1-Werten
Schlag vermutet, dass sich in diesen Fällen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose einige Stammzellen vom Primärtumor abgetrennt hatten und später zu Metastasen herangewachsen sind. „MACC1 könnte in Zukunft helfen, Hochrisikopatienten zu identifizieren, die nach einen Operation wenigstens intensiver nachbeobachtet werden sollten“, so Schlag. Das Metastasen-Gen könne aber auch darüber entscheiden, ob diese Patienten eine adjuvante und unter Umständen nebenwirkungsreiche Chemotherapie benötigen, oder ob sie ihnen erspart werden kann.
Durch eine rechtzeitige Behandlung mit aggressiven Chemotherapeutika kann das Nachwachsen von Tochtergeschwülsten in vielen Fällen verhindert oder wenigstens verlangsamt werden. Doch Schlag setzt auf Wirkstoffe, mit denen sich MACC1 gezielt abschalten lässt. Derzeit durchforsten seine Mitarbeiter Substanzbibliotheken nach einem passenden Molekül. Experimente mit isolierten Tumorzellen hätten aber bereits gezeigt, so Schlag, dass die Metastasierung unterdrückt werde, wenn man MACC1 mit molekularen Methoden ausschaltet. Zudem prüfen die Wissenschaftler, ob MACC1 auch bei anderen Krebsarten eine genauere Voraussage über das Metastasierungsrisiko erlaubt.
Als nächster Schritt plant Schlag, im Rahmen einer multizentrischen Studie an einem größeren Patientenkollektiv zu überprüfen, ob erhöhte MACC1-Werte bei Dickdarmkrebs tatsächlich mit einem deutlich höheren Metastasierungsrisiko einhergehen. Auch andere Onkologen fordern eine solche Studie: „Die Daten sind zwar sehr spannend, aber 60 Patienten, verteilt über verschiedene Tumorstadien, reichen nicht aus, um tatsächlich eine Aussage über die klinische Relevanz zu treffen“, sagt Professor Hanno Riess, Onkologe im Virchow-Klinikum der Charité. „Außerdem wäre es interessant zu untersuchen, ob Patienten mit erhöhten MACC1-Werten überhaupt von einer adjuvanten Therapie profitieren.“
Onkologen fordern größere Studien
Riess wünscht sich deshalb eine randomisierte Interventionsstudie, in der operierte und gegenwärtig nicht nachbehandelte Patienten, die aber aufgrund erhöhter MACC1-Werte wahrscheinlich ein deutliches Rückfallsrisiko haben, entweder mit Chemotherapeutika oder einem Placebo behandelt werden. Da adjuvante Therapiestudien jedoch lange Nachbeobachtungszeiten erfordern, sei mit Ergebnissen, so der Onkologe, nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre zur rechnen. Somit wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis ein umfassend abgesicherter MACC1-Test zu einer weiteren Individualisierung und Optimierung der Therapie beim Dickdarmkrebs herangezogen werden kann.