Persönlichkeitsstörungen sind häufige Krankheitsbilder bei Jugendlichen - und werden gerade deshalb häufig mit anderen Auffälligkeiten in der Jugend verwechselt. Dies war auch Thema auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Dennoch wird um Existenz und Diagnostizierbarkeit von Persönlichkeitsstörungen in dieser Altersgruppe eine kontroverse Diskussion geführt. Laut Dr. Cornelia Eulig von der Kinder- und Jugendpsychologischen Klinik, UPK Basel plädieren »Empirie als auch viele Forschungsarbeiten für eine Diagnosevergabe bei unter 18-Jährigen«: Damit kann eine Chronifizierung durch symptomspezifische Therapien verhindert und persönliches Leid verringert werden. Kritiker führen dagegen ins Feld, dass Symptome wie etwa Interaktions- und Emotionsregulationsschwierigkeiten sowie Selbstwertschwankungen eher auf eine Adoleszentenkrise deuten. Zudem sehen viele Experten »die Gefahr von Stigmatisierung und Resignation der Betroffenen«.
Verlässliche Instrumente und einheitliche Kriterien zur Diagnose
»Eine sichere Abgrenzung einer Persönlichkeitsstörung von einer Adoleszentenkrise ist von großer klinischer Relevanz«, so Dr. Eulig. Eine klare Unterscheidung sei durchaus möglich. So haben Adoleszentenkrisen im Gegensatz zu Persönlichkeitsstörungen einen plötzlichen Beginn und verschwinden dann vollständig. Während die Selbstdarstellung gestört ist, bleibt die Objektpräsentation unbeeinträchtigt. Eine im Jugendalter beginnende Persönlichkeitsstörung bleibt dagegen bestehen, zudem sind sowohl Selbst- wie Objektdarstellung gestört. Die Betroffenen haben keine Ideale, Interessen, internalisierte Werte und Zielvorstellungen, was bei Adoleszentenkrisen nicht der Fall ist.
Im Rahmen eines Multicenter-Projekts an der KJPK Basel werden derzeit Kriterien zur qualitativen Unterscheidung ermittelt. Denn die »Entwicklung verlässlicher psychometrischer Diagnoseinstrumente und einheitlicher Diagnosekriterien« ist laut Dr. Eulig unerlässlich. In das Projekt sind 195 Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren eingeschlossen, die an einer Achse-I-Störung ohne Persönlichkeitsstörung, einer Persönlichkeitsstörung oder Achse-II-Störung oder aber an einer Adoleszentenkrise leiden. Ziel ist es laut Dr. Eulig, »bestimmte Aspekte der Selbst- und Objektrepräsentation sowie Charakter- und Temperamenttraits zu identifizieren, die dem Kliniker eine zuverlässige Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen ermöglichen«.
AIT – maßgeschneidert für Jugendliche
Vor dem Hintergrund der Debatte um die Diagnose verwundert es nicht, dass es bislang nur wenige spezifische Behandlungsansätze für Jugendliche gibt. Eine »störungsspezifische Therapie«, so Prof. Dr. Susanne Schlüter-Müller, Institut für Sozialpädagogik, Leuphana Universität in Lüneburg, ist jedoch erforderlich: »As usual wirkt nicht«. Sie empfiehlt eine tiefenpsychologisch orientierte Behandlung – das so genannte Adolescent Identity Treatment (AIT), eine modifizierte Therapieform der Übertragungsfokusierten Psychotherapie (Transference Focused Psychotherapie, kurz TFP). Beim AIT wurden einige Adaptionen speziell für Jugendliche vorgenommen. So beispielsweise spezielle Gegenübertragungsphänomene, direkte Interventionen wie neuropsychologische Testungen und eine Kombination mit pädagogischen und behavioralen Elementen. Weiterhin wird eine Therapievereinbarung getroffen, in die auch die Eltern mit einbezogen werden, um die Behandlung zu unterstützen. Die Einbeziehung der Eltern, auch durch periodische Familiensitzungen, ist essenziell. »Sie gelingt jedoch nur, wenn man diese nicht als Schuldige sieht«, so Prof. Schlüter-Müller. Wichtig ist auch, dass die Therapie stets in der Gegenwart bleibt. »Über die Vergangenheit wird nicht gesprochen«. Die Sitzungen sollten über sechs Monate bis maximal ein Jahr hinweg einmal pro Woche 45 Minuten stattfinden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass störungsspezifische psychodynamische Verfahren wie das AIT grundsätzlich auch bei Jugendlichen geeignet und erfolgreich sein können.
Symptome einer einzigen Störung?
Für Persönlichkeitsstörungen und ADHS finden sich neben einer hohen Prävalenz auch deutliche Überschneidungen. Wie aus der Kölner GAP-Studie hervorgeht, ist »die Symptomatik sehr ähnlich und es lassen sich pathophysiologische und neurokognitive Überlappungen wie ein Inhibitionsdefizit und Hypersensivität ausmachen«, so Dr. Kathrin Sevecke, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Universität Köln. In der Studie wurde die Prävalenz und Komorbidität von ADHS und Persönlichkeitsstörungen bei klinisch behandelten und inhaftierten Jugendlichen untersucht. Ungeachtet geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Persönlichkeitsstörungen liegt laut Dr. Sevecke die Überlegung nahe, »ob es sich wirklich um zwei verschiedene Krankheitsbilder oder um Symptomkonstellationen einer einzigen umfassenden Störung handelt«.