Zum dritten Mal hat die Kaufmännische Krankenkasse ihre Statistiken über Betrug im deutschen Gesundheitswesen öffentlich gemacht. Fazit: Insgesamt sind die Betrugszahlen eher gering. Aber einige Apotheker, Ärzte und Physiotherapeuten langen ganz schön zu.
„Betrug ist nur dann erfolgreich, wenn der Geschädigte ihn nicht bemerkt.“ Dieser Satz des Kriminologen Professor Bernd-Dieter Meier von der Juristischen Fakultät der Leibniz-Universität Hannover beschreibt knapp und anschaulich das große Dilemma, in dem das Gesundheitswesen beim Thema betrügerische Abrechnung von Leistungen steckt. Dass es einige Leistungserbringer bei der Abrechnung mit den Kostenträgern nicht so genau nehmen, ist angesichts des riesigen Betriebs „Gesundheitswesen“ nicht verwunderlich. Wie viel tatsächlich betrogen wird, ist allerdings schwer festzustellen, solange die Krankenkassen Betrugsfällen nur sehr sporadisch nachgehen und solange das Abrechnungssystem in Deutschland so kompliziert, intransparent und missverständlich ist, wie es ist.
Betrugsfälle bei der KKH: Optiker sind besonders dreist
Klare Spitzenreiter bei den Betrügereien gibt es nicht. Daten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zufolge sind Ärzte und Apotheker ähnlich aktiv wie Physiotherapeuten, Optiker oder Orthopädietechniker. Bei der Zahl der Delikte nehmen zumindest in den KKH-Statistiken Physiotherapeuten und Krankengymnasten mit 279 aufgegriffenen Betrugsfällen im Jahr 2008 die Pole-Position ein. Es folgen Ärzte mit 233 Fällen, Pflegedienste mit 105 Fällen, sowie Apotheker, Optiker, Zahnärzte und Hilfsmittelanbieter mit je rund 50 Fällen. Bei den Schadenssummen ist die Reihenfolge aber eine andere: Den höchsten Schaden verursachten die Optiker, die die KKH mit ihren 50 Betrugsfällen um 200.000 Euro erleichterten. Ärzte und Apotheker kamen je auf 112.000 Euro. Bei den Physiotherapeuten waren die Beträge geringer. Angesichts eines Gesamtumsatzes im deutschen GKV-System von 170 Milliarden Euro klingen all diese Zahlen überschaubar. Allerdings repräsentiert die KKH nur etwa ein Dreißigstel des GKV-Markts. Und: Ermittlungen bedürfen in der Regel eines Hinweises durch einen Versicherten, was die Zahlen deutlich verfälschen dürfte. Das sieht auch der Jurist Meier so: „Aus kriminologischer Sicht muss man hier von einem echten Dunkelfeld ausgehen, in dem wir mit unseren wissenschaftlichen Erhebungsinstrumenten an Grenzen stoßen. Ob beispielsweise bei einer ärztlichen Untersuchung eine bestimmte Maßnahme ergriffen wurde oder ob von einem Optiker ein höherwertiges Glas abgerechnet wurde, lässt sich im Nachhinein meist nicht feststellen.“
Beliebte Masche: Mercedes steht drauf, VW Golf ist drin
Was dann aber gelegentlich an die Oberfläche kommt, ist schon haarsträubend. Der Vorsitzende der KKH, Ingo Kailuweit, brachte bei einer Veranstaltung in Hannover einige prägnante Beispiele aus laufenden oder gerade abgeschlossenen Verfahren. So wird in einem Fall gegen den Inhaber eines Sanitätshauses und diverse Ärzte ermittelt, die offenbar nach jenem Schema arbeiten, dass vor einiger Zeit im Rahmen des so genannten Globudent-Skandals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Der Vorwurf: Diabetikereinlagen von einfacher Qualität wurden in großem Stil abgegeben und als sehr teure Einlagen abgerechnet. „Das auf unsere Strafanzeige hin eingeleitete Ermittlungsverfahren hat zu Durchsuchungen geführt, weitere Verfahren gegen insgesamt 26 Ärzte wurden inzwischen eingeleitet“, so Kailuweit.
Bei einigen Zahnärzten und Zahntechnikern ist offenbar ein ähnliches Betrugsmodell im Gange. Es geht um Dehnplatten für Zahnspangen, die von Technikern unter Mobilfunknummern in Fachzeitschriften kostengünstig angeboten und dann teurer abgerechnet werden. Nicht selten ist quer durch die Berufsklassen auch der klassische Betrug durch Abrechnung nicht erbrachter Leistungen. Hier laufen bei der KKH eine ganze Reihe von Verfahren, eines davon gegen eine Ärztin, die in großem Maßstab Allergietests und andere diagnostische Verfahren abgerechnet hat, ohne sie tatsächlich gemacht zu haben.
Bei vielen Krankenkassen ist das Engagement gering
Nun gehören zu Betrügereien immer zwei: Einer, der betrügt und einer, der sich betrügen lässt. In der Bereitschaft der Krankenkassen, sich betrügen zu lassen, gibt es durchaus Unterschiede, wie Zahlen belegen, die der Jurist Meier vorgelegt hat. Demnach haben in den Jahren 2004 und 2005 etwa die Hälfte der Kassen nur maximal zehn Verdachtsfälle bearbeitet. Einige wenige waren deutlich aktiver und schauten zum Teil über 2000 Mal genauer hin. Auch die Quote der Verdachtsfälle, bei denen schließlich Anzeige erstattet wird, variiert stark. Sie liegt im Mittel bei 2,4 Prozent. Bei Kassen, die genau hinschauen, liegt sie deutlich höher. „Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass die Prävention durch eine stärkere personelle Ausstattung der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen, durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit anderen Kassen sowie durch ein konsequentes Vorgehen bei der Anzeigenerstattung weiter verbessert werden kann“, so Meier. Letztlich läuft natürlich alles auf die Frage hinaus, wie viel veruntreutes Geld eine Kasse durch ihr Engagement gegen Betrüger wieder reinholt. Rund die Hälfte scheint realistisch. Bei der KKH befinden sich derzeit 1480 Fälle in laufender Bearbeitung. Im Jahr 2008 wurden eine Million Euro an Schäden aufgedeckt, von denen die Kasse bisher 400000 Euro wiederbekam.