Wie kann man Schmerzen in der Schwangerschaft lindern? Um Risiken abzuschätzen, bleiben meist nur Daten aus Beobachtungsstudien, denn klinische Studien mit Schwangeren sind umstritten. Doch auch keine Einnahme von Medikamenten kann negative Folgen haben.
„70 Prozent aller Schwangeren im dritten Trimenon haben Schmerzen, aber nur 25 Prozent erhalten irgendeine Therapie“, berichtet Martin Smollich, Professor für Klinische Pharmakologie bei der Interpharm 2017. Ärzte und Apotheker kennen das Dilemma: Jedes Pharmakon ist mit Risiken verbunden. Keine Pillen zu schlucken, ist aber nur scheinbar die bessere Lösung. Denn unbehandelte Schmerzen verschlechtern Prognose und Verlauf einer Schwangerschaft. Es kann zu Schlafstörungen führen oder sogar zu Depressionen. Smollich berichtet auch von Zusammenhängen mit Schwangerschaftshypertonien. Patientinnen rät der Experte deshalb, nicht auf Behandlungen zu verzichten. Wichtiger sei ein systematisches Vorgehen bei der Schmerztherapie.
Martin Smollich © AkdÄ Primär geht es um die Behebung möglicher Ursachen von Beschwerden. Zunächst sind nichtmedikamentöse Verfahren wie Wärme, ein Bauchgurt oder Pfefferminzöl ratsam. Der Experte spricht von „mehr als reinen Placeboeffekten“. An dritter Stelle rangieren dann Arzneimittel. „Genauso wichtig wie die Sicherheit ist die Wirksamkeit“, sagt Smollich. Paracetamol ist seine erste Wahl. Das Pharmakon wirkt antipyretisch. Es schützt vor Hypertermie-bedingten Fehlbildungen und hat keine ulzerogenen Eigenschaften. Dem stehen Nachteile wie die geringe therapeutische Breite, das geringe analgetische Potenzial und fehlende antiphlogistische Eigenschaften gegenüber. Smollich verweist auf Studien mit einer gewissen Kausalität zwischen Paracetamol und Verhaltensauffälligkeiten beziehungsweise ADHS im Grundschulalter. Das Pharmakon wird mit kindlichem Asthma und mit Hodenhochstand in Verbindung gebracht. NSAR erhöhen möglicherweise das Abortrisiko im ersten Trimenon. Im dritten Trimenon kann es unter anderem zum vorzeitigen Schluss des Ductus arteriosus kommen. Abhängig vom Wirkstoff steigt die mütterliche Blutungsneigung. Die Arzneistoffe wirken auch tokolytisch. Früher wurde sogar Indometacin eingesetzt, um die Wehentätigkeit zu verringern. Bis zur 28. Schwangerschaftswoche kann Smollich zufolge Ibuprofen als erste Wahl eingesetzt werden. Danach seien alle NSAR kontraindiziert. Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure, das heißt weniger als 150 Milligramm pro Tag, bewertet er im gesamten Zeitraum als sicher. Bei stärkeren Schmerzen gelten Morphin und Hydromorphon als Mittel der Wahl. Hier gebe es umfangreiche Daten, um teratogene Effekte auszuschließen. Kinder leiden jedoch bei längerer Gabe am neonatalen Abstinenzsyndrom. Sie müssen medizinisch versorgt werden. Dem gegenüber bewertet Smollich die Datenlage bei Oxycodon, Tilidin/Naloxon und Tramadol als „eher schlecht“: ein grundlegendes Dilemma der Pharmakotherapie bei Schwangeren.
© BPI Die Problematik sei, man könne generell nur auf retrospektiv erhobene Daten zurückgreifen, sagt Dr. Stephanie Padberg. Sie arbeitet am Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin. Ihren Ausführungen zufolge stehen bei angeborenen Entwicklungsstörungen unbekannte oder multifaktorielle Ursachen an erster Stelle (60 Prozent), gefolgt von chromosomalen oder monogenetischen Auslösern (16 bis 25 Prozent) und mütterlichen Erkrankungen (zwei bis zehn Prozent). Chemische oder physikalische Ursachen sind mit zwei bis vier Prozent zahlenmäßig eher von untergeordneter Bedeutung, als vermeidbarer Faktor aber umso wichtiger. In diesem Zusammenhang stehen mehrere Informationsquellen zur Verfügung. Padberg nennt Tierexperimente, Fallberichte, Fallserien oder Beobachtungsstudien. Zum Hintergrund: Fast jede zweite Schwangerschaft beginnt nicht geplant. Patientinnen nehmen Medikamente ein, so lange sie nichts von ihrer Gravidität wissen. Sie werden von Ärzten weiter begleitet.
Ein Beispiel: Wissenschaftler konnten zeigen, dass Gyrasehemmer im ersten Trimenon nicht zu signifikant mehr Fehlbildungen oder Spontanaborten führen. Basis waren 949 Schwangere in der Pharmakotherapie-Gruppe und 3.796 Kontrollen. Wenig überraschend sank die Zahl an Frauen in der Expositionsgruppe mit zunehmender Gestationswoche stark ab. Alle Ergebnisse stehen über Embryotox online zur Verfügung. Es handelt sich aber nicht nur um ein Informationsportal. Experten beantworten darüber hinaus Anfragen von Medizinern, aber auch von Laien. Bei rund 14.500 Beratungen pro Jahr geht es besonders oft um psychiatrische Erkrankungen (25 Prozent). Auf Platz zwei rangieren Infektionen respektive parasitären Erkrankungen (17 Prozent). Dann kommen medizinische Eingriffe (neun Prozent), Erkrankungen des Nervensystems (acht Prozent), und gastrointestinale Leiden (sieben Prozent). In vielen Fällen kann Stephanie Padberg Entwarnung geben. Trotzdem sagt die Ärztin, viele Pharmaka seien nicht unbedenklich, sondern „einfach nur schlecht untersucht“.
In Deutschland gelte es als „moralische Selbstverständlichkeit“, so Padberg, Schwangere von klinischen Studien auszuschließen. Manche Heilberufler betrachten das Thema differenzierter. Eine Gruppe von Medizinethikern um Professor Dr. Dr. Nikola Biller-Andorno, Uni Zürich, forderten bereits vor mehr als einem Jahrzehnt, werdende Mütter zu schützen, aber nicht generell von der Arzneimittelforschung auszuschließen. Entsprechende Passagen finden sich beispielsweise auch im US-amerikanischen Code of Federal Regulations, Paragraph 46.204. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA bleibt bei ihrer restriktiven Haltung: „In general, pregnant women should be excluded from clinical trials where the drug is not intended for use in pregnancy.“ Für diese Haltung gibt es sicherlich gute Gründe, aber bei der Behandlung von Schwangeren, die auf Medikamente angewiesen sind, fischen die Ärzte weiter im Trüben.