„Metzgerbude“, „Bluttheater“ oder „Schlitzerstube“ – für den OP und die darin arbeitenden Chirurgen gibt es viele blutrünstige Namen, aber wie ist es tatsächlich, wenn man ohne wirkliche Erfahrung in diesem Fach sein Tertial des praktischen Jahres beginnt? Wir haben eine PJlerin bei diesem aufregenden Beginn begleitet.
7.00 Müde schaue ich in die Runde der Unfallchirurgen. Die Umstellung von dem sozialen Beginn bei den Internisten hin zu den Frühaufsteher-Chirurgen fällt mir schwer. Ich versuche trotzdem motiviert in die Runde zu schauen. Bis jetzt habe ich noch nicht viel Gutes über die chirurgischen Wochen im PJ gehört. Ich hoffe, dass sich nicht alle diese Vorurteile bestätigen. Der diensthabende Arzt stellt nun dem Chef- und den Oberärzten die Fälle der Nacht vor. Außerdem werden im Team die Operationen, die planmäßig anstehen, besprochen.
7.15 Zeit für die Visite. Zusammen mit dem Oberarzt werden alle Patienten gesehen und deren Wunden angeschaut. Die Visite begleitet auch eine Physiotherapeutin, um die weiteren, tatsächlich zu realisierenden Therapieziele zusammen mit den Ärzten zu besprechen. Was bei den Internisten meistens zu lange dauert, ist bei den Chirurgen zu schnell vorbei. Als noch mehrere Zimmer vor uns liegen, schaut der Oberarzt entnervt auf die Uhr und fordert „Jetzt aber Tempo!“
7.40 Gerade noch pünktlich stürmen die Unfallchirurgen den Röntgenbesprechungsraum. Die Nacht war eisig kalt, demzufolge stapeln sich die Röntgenbilder von luxierten Schultern, gebrochenen Sprunggelenken und Köpfe, die nach einer Platzwunde angefertigt wurden. 8.10 Zurück auf Station stehen schon die ganzen Blutentnahmen für mich bereit. Auch die Venenzugänge warten bereits darauf, gelegt zu werden. Ich glaube, dies ist auf jeder Station gleich. 8.25 Kaum bin ich bei der dritten Blutentnahme, klingelt das PJ-Telefon. Eine OP-Schwester beordert mich in OP-Saal 5. Jetzt wird es zum ersten Mal ernst für mich. Mit einem Gefühl, das zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt wechselt, mache ich mich auf den Weg zum OP. Glücklicherweise sind die meisten OP-Trakte in ähnlicher Weise aufgebaut, so das ich schnell passende Bereichskleidung, Haube und Mundschutz finde.
8.27 Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, wie man sich richtig einwäscht. Langsam fällt es mir wieder ein: erst normal waschen, gut abtrocknen, dann zwei Minuten gründlich und überall bis hin zum Unterarm desinfizieren. 8.32 Wie peinlich! Ich habe vergessen die Röntgenschürze anzuziehen. Also noch einmal von vorn. Hoffentlich hat das keiner gesehen....
8.36 Mit desinfizierten Händen stolziere ich in den OP-Saal hinein. Die OP-Schwester hilft mir mich steril in den Kittel zu hüllen und auch die Handschuhe hält sie mir hin. Das ging ja Gott sei Dank ohne dass mir ein Fauxpas unterlaufen wäre.
8.38 Endlich steh ich mit am Tisch. Ein Gammanagel wird eingebaut. Ich hoffe mein Kreislauf ist genauso interessiert wie ich und macht nicht schlapp.
10.00 Die erste Operation ist geschafft. Jetzt habe ich Hunger. Außerdem soll ich auch gleich bei der nächsten OP assistierend zur Seite stehen. Daher muss ich jetzt etwas essen und trinken. Wer weiß schon, wie lange es beim nächsten Mal dauert.
10.20 Diesmal hat das OP-Team gewechselt, die Atmosphäre ist eindeutig lockerer geworden. Während wir eine distale Radiusfraktur mit einer winkelstabilen Platte versorgen, höre ich mir die lustigen Erzählungen des Oberarztes aus seinem Praktischen Jahr an. Ich fühle mich immer wohler in meinem sterilen Kittel und staune wie schnell ich sicher den Kleinert-Haken schwinge. So kann es weitergehen. 12.35 Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie vergeht die Zeit im OP wie im Flug. Die Operation verläuft gut und ich darf sogar die Wunde vernähen. Ungelenk und unsicher mache ich mich ans Handwerk, aber ich habe Glück, der Oberarzt ist sehr geduldig mit mir. Und irgendwann ist auch die langsamste PJlerin einmal fertig. Erst nach der letzten Naht merke ich wie groß mein Hunger wirklich ist. Zusammen mit dem Oberarzt und der Assistenzärztin gehe ich in Richtung Kantine um mich für den zweiten Teil des Tages zu stärken. 13.00 Nachdem ich kurz auf der Station vorbeigeschaut und noch einen Venenzugang gelegt habe, gehe ich in die Notaufnahme. Ich bin schon gespannt, was mich dort erwartet.
13.03 Das Wartezimmer ist ganz schön voll. Ich sehe tiefe Schnittwunden, verstauchte Gelenke, eine Kopfplatzwunde. In rasantem Tempo werden die Patienten zwischen Behandlungsraum und Röntgenabteilung hin und her geschickt. Das ist nicht immer so, versichert die Assistenzärztin, aber häufig. 14.35 Die nächste Patientin ist erst fünf Jahre alt und beim Spielen in der Kindertagesstätte auf den Arm gestürzt und hat eine schon ohne Röntgenbild sichtbare offene Fraktur der proximalen Ulna. Armes Ding, denn das muß natürlich operativ versorgt werden. So geht jetzt alles ganz schnell.
15.07 Der erste Schnitt ist gemacht. Ich wundere mich, wie sicher ich jetzt schon mit am Tisch stehe. Die Stimmung ist diesmal sehr konzentriert.
16.30 Jetzt folgt die Röntgenbesprechung mit den Bildern, die im Laufe des Tages gemacht wurden. Fast pünktlich sind auch der Operateur und ich im Röntgenraum angekommen. Im Anschluß hieran findet noch eine kurze Besprechung der Neuaufnahmen und des morgigen OP-Plans statt. Zufrieden sehe ich, dass ich – wenigstens bei den ersten beiden kleinen Operationen- wieder als erste Assistenz gelistet bin.
16.45 Jetzt ist aber erst einmal Feierabend!
Der erste Tag in der Chirurgie ist schnell vorbei. Und ja, es macht sehr viel Spaß, viel mehr als ich geglaubt habe. Bis morgen!