Auch wenn Stillen unbestritten zur Gesundheit von Mutter und Kind beiträgt, wird das Thema teilweise wie eine "heilige Kuh" behandelt. Exemplarisch ist die englische Kontroverse, die soweit geht, dass Risiken unter den Teppich gekehrt werden. Und wie sieht es in Deutschland aus?
Hypernatriämische Dehydratation, d.h. Störungen des Elektrolyt-Haushalts durch Austrocknung, kann bei Neugeborenen auftreten, wenn sie beim ausschließlichen Stillen zu wenig Milch bekommen. Wird der Mangel zu spät erkannt, kann es zu Krämpfen oder Gehirnschädigung kommen. Problematisch ist, dass nicht immer sofort erkennbar ist, dass die betroffenen Babies in akuter Gefahr sind, so eine kleine Gruppe von britischen Kinderärzten. In Großbritannien beschäftigt sich diese Gruppe aus verschiedenen Gründen mit diesem Thema. Aus einigen lokalen Studien ist bekannt, dass pro Woche ein Baby mit leichter bis schwerer Dehydratation ins Krankenhaus eingeliefert wird. Nun befürchten diese Ärzte, dass die Fälle zunehmen, je mehr Frauen der Aufforderung des National Health Service (NHS), "breast ist best", folgen. Sie könnten Recht haben, da die Gesundheitsorganisation gerade massiv für das ausschließliche Stillen in den ersten sechs Monaten wirbt.
Stillen als Glaubensbekenntnis
Die sensibilisierten englischen Kinderärzte beobachten auch, dass alles, was Breastfeeding diskreditieren könnte, momentan von Befürwortern unter den Teppich gekehrt wird, um eine negative Beeinflussung auszuschalten. Man habe den Eindruck, dass Stillen zu einer Art Glaubensbekenntnis geworden ist, so ein Kinderarzt. Die geschilderten Reaktionen werden verständlich, wenn man weiß, dass im United Kingdom die Quote der stillenden Frauen im europäischen Vergleich immer noch sehr gering ist. Die ausschließliche Ernährung mit Muttermilch bis zum sechsten Monat wird bisher lediglich von einem Prozent der Frauen befolgt. Mediziner wollen dennoch auf die Gefahren der Dehydratation beim Stillen hinweisen und sie gründlich analysieren, damit die Mütter in Zukunft besser unterstützt werden können. Deswegen soll jetzt eine Studie von der British Paediatric Surveillance Unit (BPSU) gestartet werden.
Studie für bessere Stillhilfe bei Problemen
Der Supervisor der Studie, Dr Sam Oddie, Neonatologe an der Bradford Royal Infirmary, ist ein absoluter Befürworter des Stillens. Er hat drei Kinder, die alle länger als ein Jahr gestillt wurden. "Aber wenn Babies krank werden infolge gescheiterter Stillversuche", so Oddie gegenüber DocCheck, "dann darf das nicht ignoriert werden. Wir sollten wissen, warum das passiert." Der Geburtshelfer stellte DocCheck den Fahrplan für die Studie "Severe Neonatal Hypernatraemia" zur Verfügung. Der Vorschlag sieht vor, dass Kinderärzte in ganz Großbritannien in Abständen von vier Wochen einen Report abgeben über die behandelten schweren Fälle – das heißt einen Natriumspiegel im Blutserum über 160 mmol/l bei einem weniger als 28 Tage alten Säugling, der nach einer Schwangerschaft von mindestens 33 Wochen geboren wurde. Der hohe Natriumwert als Schwellenwert wird als Kompromiss bezeichnet. Man wollte vermeiden, dass zu viele Meldungen das zarte Still-Pflänzchen gefährden. Ob sich der Aufwand dann noch lohnt? Vielleicht würde auch einfach die schnelle Umsetzung der von Oddie geforderten Verbesserung der Stillhilfe das Problem lösen.
Dehydratation in Deutschland unbekannt
Ob es solche Spannungsverhältnisse wohl auch in Deutschland gibt, wenn es um Risiken geht? Die Antwort lautet eindeutig Ja. Aus vertraulichen Quellen erfährt man, dass auch hier eingefleischte Laktivisten auf eine wissenschaftliche Studie sehr empfindlich reagieren würden, wenn dadurch das Vertrauen ins Stillen konterkariert würde. Tatsache ist, dass es bei den einschlägigen Stillhilfen im Web keine Hinweise auf dehydrierte Babies gibt. Der Nationalen Stillkommission, eine Einrichtung im Bundesinstitut für Risikobewertung, sind derartige Probleme nicht bekannt. Wenn ein Kind zu wenig Milch bekommt, dann schreit es und dann wird zugefüttert, heißt es. Vielleicht ist aber auch nur die Fürsorge für Mütter in Deutschland insgesamt besser als in England. Junge Mütter bestätigen, dass es ausreichend Stillhilfen gibt, die jede Frau in Anspruch nehmen kann. Zum aktuellen Stand der Stillförderung in Deutschland hat die Bundesregierung auf Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen kürzlich Stellung genommen.