Gibt es ihn bald überall in Deutschland, den „automatischen Apotheker“? Ein Pharmazeut aus Frankfurt hat jetzt zumindest einen Teilerfolg vor Gericht errungen. Er darf auch künftig sein automatisches Warenlager mit einem Ausgabeschlitz für Pillen verknüpfen.
In einem Eilverfahren hat das Hessische Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit den umstrittenen Arzneimittelautomaten in Apotheken ein Urteil der Vorinstanz abgeändert. Die Abgabe von nicht rezeptierten Arzneimitteln via „Geldautomat“ ist damit bis auf Weiteres auch in Hessen erlaubt.
Auf dem Spiel stehen erhebliche Investitionen einiger Apotheker
Gestritten wurde in dem neuerlichen Prozess um den so genannten visavia-Automaten des Unternehmens Rowa, den Apotheker als Ergänzung zu Rowas Kommissioniersystem kaufen können. Über diesen Automaten können Kunden Medikamente erwerben und bezahlen. Der Kontakt zum Apotheker läuft dabei über Mikrofon und Lautsprecher. Auf diese Weise kann ein Apotheker außerhalb der regulären Öffnungszeiten Medikamente an Kunden abgeben, auch dann, wenn seine Apotheke gerade nicht Notdienst hat. „Im Moment stehen in Deutschland etwa dreißig dieser Automaten in Apotheken“, sagte Rowa-Sprecherin Birte Gölzer gegenüber dem DocCheck-Newsletter. Der erste Automat wurde, viel beachtet, im Jahr 2006 aufgestellt. Auch in anderen europäischen Ländern werde das Angebot derzeit schrittweise ausgerollt, so Gölzer zu DocCheck. Die Sache ist nicht ganz billig: Für die Basisversion werden bis zu 20000 Euro fällig. Wer etwas mehr will, namentlich die Möglichkeit, mit Plastikkarten statt Bargeld zu bezahlen, muss tiefer in die Tasche greifen. Der Frankfurter Apotheker, der jetzt beim Hessischen Verwaltungsgericht einen Teilerfolg erreichte, hat laut Urteilsbegründung 44000 Euro investiert. Die Preise illustrieren, warum das Interesse an dem aktuellen Urteil weit über das Land Hessen hinaus reicht: Einige Apotheker haben größere Summen Geld in die Hand genommen und bangen jetzt um ihre Investitionen.
Bei rezeptieren Pillen ist (in Hessen) wenig zu holen
Nach dem Frankfurter Urteil können diese Apotheker jetzt etwas ruhiger schlafen. Gestört worden war der Schlaf am 28. August 2008 durch eine Einstweilige Verfügung der Vorgängerinstanz, des Verwaltungsgerichts Frankfurt, die am 20. November 2008 durch ein entsprechendes Urteil bestätigt worden war. Demnach sei ein Betrieb des visavia-Automaten außerhalb der Öffnungszeiten rechtswidrig. Verwiesen wurde dabei auf §17 der Apothekenbetriebsordnung, wonach bei Abgabe von verschreibungspflichtigen oder verschriebenen Arzneimitteln das Rezept unmittelbar vom Apotheker zu entwerten ist. Dies sei beim visavia-Automaten nicht gewährleistet, da der physisch nicht anwesende Apotheker die Rezepte frühestens am nächsten Morgen entwerten könne. In diesem Punkt ging das Hessische Verwaltungsgericht mit seiner Vorinstanz auch d’accord. Ein Verstoß gegen die Apothekenbetriebsordnung sei hier offensichtlich, so die Richter. Er rechtfertige es aber nicht, vom Apotheker zu verlangen, den teuren Automaten vollständig außer Betrieb zu nehmen. Denn nicht verschreibungspflichtige beziehungsweise nicht verschriebene Arzneimittel würden durch den §17 eben nicht erfasst. Deren Abgabe außerhalb der regulären Öffnungszeiten sei deswegen nicht zu beanstanden und damit ab sofort wieder gestattet.
Richter: Beratungspflicht ist kein Argument gegen Automaten
Die Urteilsbegründung ist insofern sehr spannend, als sie sich trotz Eilverfahren explizit mit zwei Detailfragen auseinandersetzt, die im Hauptsacheverfahren eine wichtige Rolle spielen dürften. Das eine ist die Frage nach der Zulässigkeit eines Rezeptdruckers. Nachdem das Landgericht Rheinland-Pfalz ebenfalls im November 2008 in einem pro-visavia-Urteil die Kommissionierung auch rezeptpflichtiger Medikamente über einen Automaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen hatte, hat Rowa eine technische Möglichkeit der Entwertung von Rezepten entwickelt, bei der ein Drucker die laut Apothekenbetriebsordnung nötigen Daten auf das Rezept aufbringt. Hier sind die Hessischen Verwaltungsrichter doch sehr skeptisch, da die Apothekenbetriebsordnung in bisher unstrittiger juristischer Auslegung die persönliche Abzeichnung des Rezepts fordere. Auch eine Faksimile-Paraphe reiche nicht, so die Richter. Der zweite Punkt ist die Informationspflicht des Apothekers gemäß §20 Apothekenbetriebsordnung. Hier sind die Richter der Auffassung, dass die Kommunikation mit dem Apotheker via Mikrofon und Lautsprecher zwar etwas anders gestaltet sei als die übliche Kommunikation im Apothekennotdienst. Dies sei aber unproblematisch, solange es sich um einen zusätzlichen Service der Apotheke handele, den der Kunde freiwillig nutze, um sich die längere Fahrt zur Notdienstapotheke zu ersparen. „Niemand kann zur Annahme, zur Aufnahme und zur Umsetzung einer Information gezwungen werden (…) Die Entscheidung des Kunden, das visavia-System (…) zu nutzen, muss ebenso wie ein Verzicht auf eine Information anerkannt werden“, so die Richter, die noch daran erinnern, dass beim Versandhandel ebenfalls kein Kontakt von Angesicht zu Angesicht bestehe.
Gewinneinbuße auf 1000 Euro pro Monat taxiert
Problematisch sei freilich, wenn keine adäquate Informationsmöglichkeit bestehe, etwa wenn der Automat an viel befahrenen Straßen steht, wo die Mikrofonkommunikation schwierig ist. Gerade bei diesem letzten Punkt erwarten sich die Parteien konkrete Vorgaben vom Hauptsacheverfahren. Über einen Termin dieser Verhandlung sei ihr allerdings bisher nichts bekannt, sagte Birte Gölzer.