Weniger Zeit für unnötige Handgriffe verschwenden und mehr Freiräume für die Beratung haben – das wünschen sich Apothekeninhaber. Und Kunden wiederum hassen Wartezeiten. Jede Apotheke löst dieses Problem anders. Zwei vielversprechende Modelle aus der Praxis.
Gunther Böttrich, Apothekeninhaber aus dem hessischen Volkmarsen, betrachtete seine Sichtwahl lange Zeit mit gemischten Gefühlen. Kunden sprechen auf „starke Marken“ an. Dem gegenüber steht ein nicht unerheblicher finanzieller und personeller Aufwand. Schnelle Anpassungen gelingen nicht mit altehrwürdigen Regalen. Auf der Interpharm 2017 präsentierte Böttrich ein paar Eckdaten. Sein Sortiment umfasste zu Zeiten der klassischen Sichtwahl 195 Produkte mit einem Warenwert von über 10.000 Euro. Der Lagerumschlag bewegte sich im Schnitt bei 7,0, wobei Topseller zwischen 3,0 und 10,1 rangierten. Alles in allem beschreibt Böttrich den klassischen Ansatz als „arbeitsintensiv, unaufgeräumt und statisch“.
Promosi Sichtwahlsysteme © Promosi / Böttrich Heute stehen statt der Regale zwölf 55-Zoll-Monitore in Böttrichs Apotheke. Sie lassen sich über eine browsergestützte Oberfläche gestalten. Egal, ob saisonale Themen oder der eigene Flyer – ohne großen Aufwand gelingt es, thematische Anpassungen vorzunehmen und die Kunden mit Informationen zu versorgen. Zwischen den sachlichen visuellen Beiträgen erscheinen auch Inhalte, die unterhalten sollen wie zb. lustige Tierbilder. Als wesentliche Vorteile seiner virtuellen Sichtwahl sieht Böttrich die Möglichkeit, unbegrenzt viele Artikel darzustellen. Personal setzt er als wichtige Ressource lieber im pharmazeutischen Bereich ein. Durch Lageroptimierungen konnte er den Warenwert unter 3.500 Euro drücken. Erfolge zeigen sich außerdem bei Werten von 14,0 für den Warenumschlag. Topseller rangieren zwischen 13,6 und 53,1. Das Ergebnis sei „effizient und emotional“, auch aus pharmazeutischem Blickwinkel.
© Promosi / Böttrich Mitarbeiter haben die Möglichkeit, jeden Monitor vom Kassenarbeitsplatz aus individuell anzusteuern und als Präsentationsmöglichkeit in ihrem Beratungsgespräch zu nutzen. Entscheiden sie sich für ein Präparat, kommt die Packung direkt vom Kommissionierautomaten an den POS. „Der einzig sinnvolle Packungskontakt findet bei der Beratung von Kunden durch pharmazeutisches Personal statt“, so Böttrich. „Intelligente Systeme unterstützen Teams und schaffen Freiräume.“ Arbeiten Kollegen ohne Kommissionierautomaten, können sie für Kunden individualisierbare Empfehlungen einblenden, während die Mitarbeiter Arzneimittel aus dem Lager holen. Die Freiwahl mit animierten Informationen mag anfänglich ungewohnt sein. Dem Wunsch nach Haptik kann man aber mit Testern entgegen kommen. Egal, ob virtuelle Sichtwahl oder Freiwahl: Kunden reagieren laut Böttrich angenehm überrascht. Während Apotheker mit jüngeren Kunden vielleicht eher über Technik oder Design ins Gespräch kommen, schätzen Senioren großflächige, gut lesbare Darstellungen. Und Kollegen bleibt mehr Zeit für die Beratung.
Kunden freuen sich ebenfalls über mehr Effizienz. Nichts hassen sie mehr als lange Wartezeiten oder mehrmalige Apothekenbesuche, um ein Präparat zu bekommen. Professor Dr. Andreas Kaapke von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg zeigt bei der Interpharm, welchen Mehrwert Smartphones für Apothekenleiter haben. Anzahl der Smartphone-Nutzer in Deutschland (in Millionen) © Statista / Screenshot: DocCheck Laut Statista gibt es in Deutschland mehr als 49 Millionen User. Intelligente Geräte bieten viele Funktionalitäten, für die Konsumenten früher eigene Geräte oder Medien erwerben mussten. Umfragen zufolge suchen drei von vier Deutschen regelmäßig online nach lokalen Händlern, Dienstleistungen, nach Öffnungszeiten und nach Kundenbewertungen. Für Apotheker sei die Herausforderung, es auf die Smartphones ihrer Kunden zu schaffen, so Kaapke. Die App als zentraler Channel für Beratung und Bestellung. © Birken-Apotheke Köln Er sieht mehrere Möglichkeiten. Kunden haben wenig Zeit und ärgern sich, wenn sie ein zweites Mal in ihre Apotheke müssen, um Präparate abzuholen. Wie wäre es mit einer Online-Verfügbarkeitsanfrage über die Website? Oder mit einer individuellen App? Beide Lösungen hat die Kölner Birken-Apotheke umgesetzt. Ihre App ist ein direkter Kanal für Kunden, um sich beraten zu lassen, aber auch, um Produkte vorzubestellen. Ähnliche Funktionen bietet die Website.
Andere Apotheken bieten Botendienste als Alternative. Hier spielen Smartphones ebenfalls ihre Stärken aus. „Telefonische Vorbestellungen sind aufwändig, fehlerträchtig und verursachen Stress beim Personal durch Unterbrechung der Arbeitsabläufe“, schreiben die Entwickler von callmyApo. Kunden fotografieren ihr Rezept und schicken die Bilddaten an ihre Stammapotheke. Damit nicht genug: Die Gründer von Apoly haben eine Schnittstelle zu Warenwirtschaftssystemen entwickelt. Sie fragen bei teilnehmenden Apotheken direkt ab, ob ein Präparat verfügbar ist. „Lokale Apotheken wie wir können durch die Plattform einfach mit ihrem etablierten und neuen Kundenstamm online kommunizieren und Bestellungen entgegennehmen. Dies bietet vor allem unseren Kunden eine noch bequemere Möglichkeit, Medikamente zu bestellen“, so Hedwig Schweda, Mitarbeiterin der Löwen Apotheke Leipzig. Vitabook und ApoNow gehen noch einen Schritt weiter. Kunden habe die Möglichkeit, bei ihrer Arztpraxis Folgerezepte zu bestellen. Anschließend entscheiden sie, ob ihre Präparate liefern lassen oder in ihrer Stammapotheke vorbestellen. Sollte es doch etwas länger dauern, rät Kaapke in seinem Vortrag zu einladenden Wartebereichen – inklusive freiem WLAN für das Smartphone, versteht sich. Wartebereich der Lichtenberg-Apotheke in Berlin © Facebook / Lichtenberg-Apotheke