250 Millionen Euro – um so viel Geld fühlen sich die Krankenkassen von den Pharmaherstellern im Zusammenhang mit den Generikaabschlägen geprellt. Dieses Geld wollen sie jetzt wiederhaben. Wenn es blöd läuft, müssen die Apotheker das Geld eintreiben.
Retaxierungen sind für die meisten Apotheker alte Bekannte. Im Zusammenhang mit den Rabattverträgen kam und kommt es immer wieder zu solchen nachträglichen Umetikettierungen, etwa wenn ein Apotheker im Notfall ein Präparat abgibt, das nicht Bestandteil der Rabattverträge der betreffenden Krankenkasse ist. Was jetzt allerdings auf dem Tisch liegt, hat komplett andere Dimensionen als dieser lästige „Kleinkram“. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung will sich von den pharmazeutischen Unternehmen via Retaxierung 250 Millionen Euro zurück holen.
Keine Frage: Die Kassen wollen Geld sehen
Der Vorwurf lautet konkret, dass die Hersteller bei satten 10.900 Pharmazentralnummern keinen Generikaabschlag gezahlt haben, obwohl sie dazu seit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG) im April 2006 eigentlich verpflichtet wären. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands geht es dabei um Präparate aus dem gesamten Spektrum der Pharmazie, schwerpunktmäßig allerdings um Biologika und um Hautpräparate. Diese Präparate sind aus Sicht der GKV austauschbar, was bedeutet, dass die Hersteller den zehnprozentigen Zwangsrabatt an die Krankenkassen überweisen müssten, der für Generika im AVWG vereinbart beziehungsweise angeordnet worden war. Bei den Herstellern sieht man das offensichtlich anders und hat die entsprechenden Summen zurückgehalten. Der normale Lauf der Dinge wäre jetzt, dass sich die Krankenkassen mit den Herstellern ins Vernehmen setzen. Das werden sie auch tun: „Wir werden möglichst bis Sommer bei allen Pharmazentralnummern, die uns unplausibel erscheinen, die Hersteller anschreiben und um Stellungnahme bitten“, sagte Ann Marini vom GKV-Spitzenverband im Gespräch mit den DocCheck News. Danach gebe es dann mehrere Möglichkeiten, so Marini: Entweder der Hersteller kann nachweisen, dass die Befreiung vom Zwangsrabatt berechtigt ist. In diesem Fall fällt die entsprechende Pharmazentralnummer aus dem Verfahren raus und die Sache ist erledigt. Kann der Hersteller die Befreiung dagegen nicht überzeugend begründen oder reagiert er erst gar nicht auf das Anschreiben, dann würde der Spitzenverband seinen Mitgliedern nach ein paar Mahnungen eine Retaxierung empfehlen.
AVWG reloaded: Das Retax-Verfahren war nicht gottgegeben…
Und hier beginnt für die Apotheker das Problem. Denn diese Retaxierungen durchlaufen die normale Vertriebskette der Präparate gewissermaßen rückwärts. Soll heißen: Die Krankenkassen holen sich das Geld von den Apothekern, und die beziehungsweise die Großhändler dürfen sich dann mit den bockigen Herstellern auseinander setzen. Wenn das Geld fließt, ist es gut, wenn nicht, haben die Apotheker ein Problem. Nun kann man das ziemlich ungerecht finden, denn die Apotheker können für die ganze Sache natürlich rein gar nichts. Hinter vorgehaltener Hand wird allerdings darauf hingewiesen, dass der entsprechende Passus im AVWG, wonach die Retaxierung genau so und nicht anders abzulaufen habe, auf Wunsch der Apotheker überhaupt erst ins Gesetzgebungsverfahren gekommen sei. Die Krankenkassen hätten wohl aus nachvollziehbaren Grünen einen direkteren Weg bevorzugt, der den Apothekern allerdings mehr Transparenz ihrer Bücher abverlangt hätte. Bei der ABDA fasst man das Thema entsprechend mit ziemlich spitzen Fingern an und versucht es möglichst tief zu hängen. „Wir erwarten und hoffen, dass sich die Hersteller mit den Krankenkassen einigen werden. Die Sache darf nicht auf dem Rücken der Apotheker ausgetragen werden. Daran hat niemand ein Interesse“, sagte ABDA-Sprecher Christian Splett zu DocCheck.
Alles nur Kraftmeierei?
Dass die GKV auf berechtigte Forderungen an die Pharmahersteller verzichtet, ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich. Entscheidend wird deswegen sein, wie das Verfahren ausgeht, bei dem die Berechtigung der GKV-Forderungen überprüft wird. Der GKV-Spitzenverband beruft sich dabei auf einen Leitfaden, auf den sich Herstellerverbände und GKV im August 2008 verständigt haben. Nach Lesart der GKV fallen die reklamierten Pharmazentralnummern gemäß diesem Leitfaden unter die Generikaabschlagspflicht. Punkt. Vom Bundesgesundheitsministerium gibt es dazu keine offizielle Stellungnahme. Der GKV-Spitzenverband geht allerdings davon aus, dass das BMG in diesem Fall auf seiner Seite steht. Wäre das so, dann hängt es im Wesentlichen von den Herstellern ab, ob sie es sich mit den Apothekern und Großhändlern verscherzen wollen, indem sie Forderungen aus der Retaxierung nicht begleichen. Am Ende wird es dazu wohl nicht kommen. Berliner Muskelspiele eben.