Kreativ sind nur die Entschuldigungen, wenn elektronische Spürhunde den Diebstahl geistigen Eigentums aufdecken. Eine amerikanische Forschergruppe hat nicht nur tausende von abgeschriebenen Medizin-Publikationen entdeckt, sondern die Autoren auch zur Rede gestellt.
"Ein Skandal ohne Beispiel" zitierte die ZEIT vor einigen Tagen Edmund Neugebauers Meinung zum neuesten Medizinskandal um den Amerikaner Scott Reuben. Der Anästhesist hatte seit 1996 einundzwanzig große Studien schlichtweg erfunden, um seinen Karriereweg nach oben zu begradigen. Seine Veröffentlichungen hatten Einfluss auf die Entstehung von Leitlinien zur Schmerzbekämpfung, die Neugebauer mit herausgegeben hat.
Plagiat-Datenbank: Déjà Vu
"Publish or Perish" - Fachartikel oder Karriere-Ende - ist ein gängiger Satz in Akademikerkreisen. Nicht immer sind Wissenschaftler so kreativ wie Scott Reuben. Oft wird einfach nur abgeschrieben. Und das ist im Zeitalter blitzschneller Suchmaschinen im Web einfacher als je zuvor. Aber der universelle Netzzugang birgt auf der anderen Seite auch das größere Risiko, dass Plagiat-Schnüffler den Tricksern leichter auf die Schliche kommen. Programme wie etwa iThenticate haben sich darauf spezialisiert, Artikelkopien aufzuspüren. Auch die Herausgeber bedeutender Fachzeitschriften gehen aus Angst um ihren Ruf inzwischen dazu über, den eingereichten Artikel zuvor auf Originalität zu prüfen.
Harold Garner von der Universität Texas hat vor einigen Jahren angefangen, nach Artikel zu suchen, die nicht aus Versuchsprotokollen, sondern durch Copy und Paste am Computer entstanden sind. In der größten biomedizinischen Datenbank der Welt, MEDLINE, forschte er mit der Suchmaschine eTBLAST nach Artikeln, die sich in Überschrift, Abstrakt und Inhalten stark ähnelten. Seit dem Jahr 2006 fand die Gruppe am Southwestern Medical Center in Dallas rund 75 000 solcher Artikel unter einem Datenbestand von rund neun Mio. zugänglicher Veröffentlichungen. Ein Verzeichnis von von Original und Doppelgänger findet sich in der öffentlichen Datenbank "Déjà Vu". Rund 9000 Mal schrieb ein gänzlich anderes Autorenteam den Artikel und machte sich so als potentielle Plagiatoren verdächtig. Die manuelle Nacharbeit deckte schließlich 212 sehr ähnliche Texte auf. Im Volltext waren Original und Kopie durchschnittlich zu 86 Prozent identisch, bei den Referenzen zu 71 Prozent. Ein weiteres Indiz gegen die Abschreiber: Nur 47 Artikel wiesen auf die Originalquelle hin, aber 42 Prozent enthielten falsche Berechnungen, Datenfehler oder manipulierte oder kopierte Bilder.
„Alles ein Witz unter Freunden“
Abgesehen von der Statistik wollten die Autoren des "Science"-Artikels vor einigen Tagen aber noch mehr über den Hintergrund abgeschriebener Forschungsergebnisse wissen. 163 mal schickten sie daher einen Fragebogen jeweils an die Autoren von früher und später geschriebenem Artikel sowie an die Herausgeber der jeweiligen Fachzeitschriften. Darin fragten sie nach Kenntnis des Duplikats, eventueller Kontaktaufnahme und möglichen Konsequenzen. Entsprechend den Antworten wussten 93 Prozent der Originalautoren nichts von einer Kopie. Die "Entschuldigungen" der Autoren der Zweitartikel waren uneinheitlich: Etwa ein Drittel bestritt jegliches falsches Verhalten, ein weiteres Drittel entschuldigte sich für die "großzügigen Anleihen" aus der anderen Publikation. Einige merkwürdige Antworten lauteten etwa: "Das alles war ein Witz, ein übles Spiel unter Freunden" oder aber: "Ich dachte nicht daran, die Originalautoren um Erlaubnis zu fragen". Immerhin wussten 17 Prozent aus dieser Gruppe gar nichts von ihrer Autorenschaft. Das amerikanische Gesundheitsministerium hat für Herausgeber von Fachzeitschriften Leitlinien bei wissenschaftlichem Fehlverhalten herausgegeben. Dennoch reagierten weniger als die Hälfte aller angeschriebenen Editoren auf die aufgedeckten Plagiate. Einige lehnten sogar jegliche Verantwortung dafür ab. Einige zogen aber auch Konsequenzen: 46 Artikel wurden zurückgezogen, mit einem Kommentar versehen oder aus der Website entfernt. Meist bleibt das jedoch ohne Folgen für die Medline-Datenbank, auf der weiterhin die Artikel verzeichnet sind. Da Suchmaschinen den zuletzt veröffentlichten Artikel meist höher in der Reihenfolge ihrer Resultate stellen, zitieren Kollegen nicht selten die Kopie häufiger als das Original. Zuweilen auch mit bedenklichen Konsequenzen für die Behandlung von Patienten.
Deutschland: Lieber wegschauen
Nicht nur in Amerika wird fleißig kopiert. Auch für Deutschland finden sich in der Déjà Vu-Datenbank rund 3800 Artikelkopien. Zumeist sind es dabei jedoch Artikel, die die Autoren an mehrere Zeitschriften schicken. Bezogen auf die Zahl der verzeichneten Medline-Artikel gibt es in China und Japan die meisten Abschreiber. Nicht weit dahinter findet sich jedoch Deutschland. Bei uns machten 2007 zwei Plagiats-Fälle aus einem anderen Fachgebiet Schlagzeilen. Zwei Professoren aus der juristischen Fakultät ihrer Universität bedienten sich ungeniert aus den Werken Ihrer Kollegen. Die Konsequenzen der jeweiligen Universitäten: Außer einer Ermahnung keine.
Dass die Dunkelziffer wissenschaftlicher Plagiate hoch bleibt, hat vermutlich auch mit der Angst von Studenten, Doktoranden und Angestellten zu tun, wissenschaftliches Fehlverhalten ihrer Chefs öffentlich werden zu lassen. So sind es immer noch einzelne Initiativen, die Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die Schweizer Psychologin Henriette Haas gibt auf ihrer Internetseite Tipps für Plagiats-Opfer und Debora Weber-Wulff von der FTHW Berlin informiert auf einer Website eingehend zum Thema Plagiat in Wissenschaft und Lehre. Sie hat sich die Mühe gemacht, digitale Detektive zum Aufspüren von abgeschriebenen Text zu testen. „Allzu oft wird bei Plagiaten noch mit einem Schulterzucken weggeschaut: Hat er ein bisschen abgeschrieben, nun ja", sagte Ulrike Beisiegel, Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgemeinschaft in einem Interview mit der Deutschen Universitätszeitung. Wer die Arbeit anderer als seine eigene verkauft, verdient mehr als nur Entrüstung über den "ungeheuren Skandal". Dank der Initiativen von Harold Garner oder Debora Weber-Wulff steigt zumindest das Risiko, entdeckt und an den Pranger gestellt zu werden.