Web 2.0, Arbeit 2.0, Lunch 2.0 - warum also nicht auch Medizin 2.0? Die Veranstalter der re:publica, Deutschlands größter Blogger-Konferenz hatten parallel zur re:health 09 eingeladen. Dort wurde die noch frische Phrase "Medizin-zwei-null" vorsichtig befühlt.
Um die 1.600 Blogger, Twitterer bzw. Web 2.0-Affine waren zur re:publica-Konferenz nach Berlin gekommen. Das diesjährige Motto "Shift Happens" stammt aus dem YouTube-Film "Did you know?" von Karl Fisch. Mit fraglichen aber dennoch imposanten Zahlen wird in dem achtminütigen Video-Podcast die zukünftige Omnipotenz des Internet, sprich Web 2.0, heraufbeschworen. An der Parallel-Veranstaltung re:health 09 nahm leider nur ein versprengtes Häufchen von 80 Ärzten und Dienstleistern im Gesundheitswesen teil - im Health-Mainstream scheint das Netz 2.0 also noch nicht ganz angekommen zu sein. Auf der Agenda standen Vorträge und Paneldiskussionen zu Themen wie Online-Sprechstunde, Ärztebewertung, Patientenportale und -foren, mobile Gesundheitsservices, zukünftige Anwendungen in der Medizin 2.0 sowie korrespondierende Rechtsfragen. Das Fazit der Vertreter aus dem Gesundheitswesen war eindeutig: Der Müll, der täglich ins Internet gekippt wird, müsse bei medizinischen Inhalten unterbunden werden. Bloss wie?
Marketingstrategische Misere auf dem Gesundheitsmarkt
Eröffnet wurde die Subkonferenz mit einem Referat von Kommunikationswissenschaftler und Doktorand Alexander Schachinger. Titel seiner empirischen Doktorarbeit: "Zukunft digitaler Gesundheitskommunikation". Ein Schwerpunkt seines Vortrags auf der re:health war dem Thema "Innovative Gesundheitsportale und Applikationen online wie mobile" gewidmet. Beispiel: Ein Italienurlauber bekommt unvorhergesehen eine Allergie. Da er sein Medikament vergessen hat, klinkt er sich mit dem Handy ins Internet ein und kann sehen, wie das notwendige Mittel heißt, ob und wo er es in seiner nächsten Umgebung kaufen kann. Das sei ein Mehrwert für den Patienten und eine Kundenbindungsmaßnahme für den Pharmahersteller, so Schachinger. So weit so gut. Man könnte natürlich auch direkt in die nächste Apotheke gehen und dort fragen.
Wir erfahren von ihm, dass sich in Deutschland Online-Gesundheitsplattformen gerade zur Informationsquelle No. 1 entwickeln und damit den Printbereich zunehmend ablösen. Typische Surfer seien Haushalte mit überdurchschnittlichem Bildungsabschluss und hohem Einkommen. Schachinger ist zuversichtlich: "Generell kann man sagen, dass das deutsche Gesundheitssystem auf Patientenseite in einer Form verglichen, evaluiert, kritisiert und empfohlen wird, die eine aktive Positionierung der Player auf dem Gesundheitsmarkt mit den alten Methoden zunehmend erschwert."
Offene Rechtsfragen
Vieles, was auf der re:health vorgetragen und diskutiert wurde, steckt noch in den Kinderschuhen, so Anwalt Bartha. Das sei wahrscheinlich der Grund, weswegen es im medizinischen Web 2.0 bisher kaum grobe Rechtsverstöße gegeben habe. "Die spannenden Fragen kommen noch." In puncto Ärztebewertung, wie beispielsweise bei DocInsider, helpster oder topmedic, sei die Grundfrage, ob solche Portale zulässig sind, von den Gerichten mit "ja" beantwortet worden. Offen sei noch, mit welchem Inhalt sich die Mediziner abfinden müssen. "Hier sind die Betreiber aber anscheinend bemüht, unzulässige Schmähkritik herauszufiltern." Wenn es in Zukunft zu einer intensiveren Nutzung von Web 2.0-Anwendungen zwischen Arzt und Patient kommt, ist laut Bartha absehbar, dass Datenschutz- und Haftungsfragen eine Rolle spielen werden. "Wie ist damit umzugehen, wenn der Arzt im Rahmen einer Online-Sprechstunde Ratschläge erteilt oder Entscheidungen trifft, die sich später als falsch erweisen?" Aus seiner Sicht sind die Mediziner über ihre Rechte im Web nicht ausreichend informiert. Da könnte er recht haben.
Wie eine zukünftige Online-Sprechstunde aussehen könnte, demonstrierte Dr. med. Kai v. Harbou von doctr.com auf der re:health. Ob Pierluigi Collina als mitfühlender Internist tatsächlich die Patienten in Scharen in die Online-Sprechstunde lockt, bleibt abzuwarten. Zuviel Spot sollte man allerdings im Zaum halten. Denn in den USA sind Online-Sprechstunden ja schon Alltag.
Ja zu Medizin 2.0, wenn Qualität stimmt
Dr. Peter Tinnemann, Wissenschaftler am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin, beklagte gegenüber DocCheck, dass sich zu wenige Ärzte mit dem Thema Web 2.0 auseinandersetzen. Er hatte im Podium an der Abschlussdiskussion zur "zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung" teilgenommen. Für den Sozialmediziner hat eine gute Website ernst zu nehmende Inhalte, sie sollte nachweislich von Experten betrieben werden und sie sollte, wie jeder in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Artikel, einem peer-review process unterzogen werden. Wenn die Qualität stimmt, könne Medizin 2.0 durchaus die Arbeit des Arztes leichter machen. Momentan sei allerdings noch viel Müll im Internet, so Tinnemann. Man wisse teilweise nicht, wer mit welcher Intention ein Portal betreibt. Von Verifizierung ganz zu schweigen. Deswegen begrüße er Veranstaltungen wie die re:health. "Wir befinden uns am Anfang einer langen Reise, bei der noch nicht klar ist, wohin sie geht. Sicher ist, dass alles, was besser ist als das, was wir jetzt haben, sich durchsetzen wird." Wer würde ihm da nicht beipflichten.