Wer sich wenig Schlaf gönnt, ist unkonzentriert und macht Fehler. Warum auch das Immunsystem nur bei ausreichender Nachtruhe effektiv arbeitet, beginnt die Wissenschaft erst allmählich zu verstehen. Forscher bringen Licht ins Dunkel der Steuerung von Abwehr und Schlaf.
"Schlaf Dich mal richtig aus, dann bist Du morgen bestimmt wieder gesund." Tatsächlich ist ein langer Schlaf bei Infekten manchmal fast genauso wirksam wie ein starkes Antibiotikum. Wenigschläfer leiden viel häufiger an Appetitlosigkeit, haben ein rund doppelt so hohes Risiko, an Diabetes zu erkranken oder sterben öfter an einer Herzattacke. Der Anteil an der Bevölkerung, die regelmäßig weniger als sechs Stunden schläft, war aber noch nie so hoch wie heute.
Wenigschläfer sind Schnupfenfänger
Wer nur ein Viertel seiner Zeit oder gar weniger im Bett verbringt, spielt leichtfertig mit seiner Gesundheit, sagen uns die Schlagzeilen aus der medizinischen Forschung. Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von Jan Born an der Universität Lübeck zeigten schon vor einigen Jahren, dass Schlafmangel nach einer Hepatitis-Impfung den Antikörpertiter verringert. Ein guter Schlaf versorgt den Körper mit Hormonen wie Prolaktin, Dopamin oder dem Wachstumshormon - alle drei stimulieren das Immunsystem. Schlaf und Immunsystem sind eng miteinander verwoben. Das zeigt auch ein Experiment an der Carnegie Mellon University im amerikanischen Pittsburgh. Sheldon Cohen und seine Kollegen suchten sich 150 Viel- und Wenigschläfer und tröpfelten Ihnen eine Lösung mit Rhinoviren in die Nase. Wenigschläfer erkrankten umso häufiger, je kürzer ihr Nachtschlaf war. Insgesamt entwickelte sich bei ihnen ein Schnupfen rund 3 bis 6 mal öfter als bei den Vielschläfern mit acht oder mehr Stunden.
Während die Auswirkungen von Schlafmangel auf die Konzentrationsfähigkeit bereits gut untersucht sind (DocCheck berichtete darüber), ist über die Querverbindungen zum Immunsystem noch recht wenig bekannt. Mehr als 20 Zytokine wirken im Immunsystem und beeinflussen gleichzeitig den Schlaf. Aber nur zwei davon sind etwas genauer untersucht. Neuronen im Hypothalamus, Hippocampus und Hirnstamm reagieren auf Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor-alpha und verlängern in Affen, Katzen und Kaninchen den Nicht-REM-Schlaf (NREM). Beim Kontakt mit bakteriellen Antigenen aus der Zellwand schüttet das Immunsystem die beiden Antigene in größeren Mengen aus. Sowohl Versuchstiere als auch menschliche Probanden werden schläfrig und verkürzen den REM-Schlaf, während sich die anderen Schlafphasen verlängern.
Schlaf sorgt für T-Zell-Gleichgewicht
Mit der Unterstützung von Geldern aus dem Sonderforschungsbereich 654 der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersuchen Gruppen an den Universitäten von Lübeck und Kiel die Wechselbeziehungen zwischen Schlaf, Kreislauf und Immunsystem. Thomas Bollinger aus Lübeck hat vor kurzem neue Ergebnisse seiner Arbeit veröffentlicht. Er fand heraus: Schlafentzug stört das Gleichgewicht zwischen der Produktion von T-Helferzellen und ihrer Kontrollinstanz, den regulatorischen T-Zellen. Die Anzahl dieser Zellen, die eine überschießende Immunantwort eindämmen, schwankt in einem zircadianen Rhythmus und ist in der Nacht am höchsten. Überaktive T-Helferzellen lassen sich dagegen um sieben Uhr morgens kaum hemmen. Wer wenig schläft, bringt diesen Rhythmus durcheinander. Denn bei gutem Schlaf schüttet der Körper nachtsüber IL-2 aus, die Zytokin, ohne das eine effektive Immunantwort nicht funktioniert und das zur Vermehrung der Helferzellen beiträgt. Dagegen ist die Produktion von regulatorischen T-Zellen weitgehend schlafunabhängig. Das heißt, eine adaptive Immunantwort funktioniert ohne Schlaf wesentlich schlechter.
Die enge Verbindung zwischen Schlaf und einer effektiven Abwehr gegen Mikroben scheint eine treibende Kraft bei der Evolution zu sein. Im Vergleich der Schlafdauer von 26 Säugetierarten hatten die Langschläfer am meisten Immunzellen in ihrem Blut. Brian Preston vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig zeigte außerdem, dass sich Säugetiere mit längerer Nachtruhe auf Kosten der Zeit für die Nahrungsbeschaffung den Vorteil von wesentlich weniger Infektionen einhandeln.
Energiefresser Körpertemperatur
Mark Opp von der Universität Michigan in Ann Arbor forscht seit langem an den Wechselbeziehungen zwischen Schlaf und dem Immunsystem. In einem aktuellen Beitrag in der März-Ausgabe von Nature Reviews Neuroscience weist er auch auf den Zusammenhang zwischen der Regulation der Körpertemperatur und Schlaf hin. Bei einem langen ununterbrochenem NREM-Schlaf ist der Unterschied zwischen der Körpertemperatur nachts und tagsüber am größten. Nur in dieser Schlafphase kann der Körper seine Temperatur durch Zittern wieder nach oben bringen und, wenn nötig, auch bis zum Fieber steigern. Fieber wiederum hemmt die Mikrobenvermehrung und kurbelt das Immunsystem an. Für 1 Grad Temperaturerhöhung muss er allerdings seinen Kreislauf um 13 Prozent steigern, um ausreichend Energie zu erzeugen. Bei einer Krankheit nimmt die Dauer des REM-Schlafs ab und die Länge der NREM-Phasen zu.
Menschen, die gleichzeitig Nachteulen und Lerchen sein wollen, riskieren nicht nur eine höhere Fehlerquote bei der Arbeit, sondern schwächen auch ihre Infektabwehr. Wer also sein Immunsystem mit Impfungen, Reisen in tropische Länder oder in Büros mit Schnupfennasen provoziert, sollte zumindest mit ausreichend Schlaf seine Energiervorräte regelmäßig auftanken.