„Dumm geboren“ ist ein ziemlich vernichtendes Urteil über einen Mitmenschen. Hirnforscher aus Kalifornien glauben, dass ein Körnchen Wahrheit darin steckt. Sie haben Menschen mit modernster Kernspintechnik beim Denken zugesehen und behaupten: Blitzmerken wird einem in die Wiege gelegt – oder eben nicht.
Der Disclaimer vorne weg: Die große Unbekannte bei allen neurophysiologischen Untersuchungen zu Dummheit und Intelligenz ist natürlich die genaue Definition dieser Begriffe. Das ist jene Frage, die auch eine im Journal of Neuroscience (2009, 29(7):2212-2224) publizierte Untersuchung des UCLA Department of Neurology an der Universität von Kalifornien nicht beantworten kann. Um weitermachen zu können, müssen wir uns also an dieser Stelle einer Annahme anschließen, die die Forscher um Professor Paul Thompson gemacht haben. Sie lautet: Intelligenz hat etwas zu tun mit einer hohen Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung im Gehirn.
Intelligent ist wer so flott denkt wie seine eigenen Protonen
So ausgestattet können wir jetzt die elegante Studie angemessen würdigen, die Thompson mit einem hochauflösenden Diffusions-MR (DTI) durchgeführt hat. Er hat insgesamt 92 Personen in einen MR-Scanner gelegt. Was dabei interessierte, war nicht so sehr die normale Hirnanatomie und auch nicht die Hirnfunktion, die in fMRT-Untersuchungen so hübsch dargestellt werden kann. Die Diffusions-MR visualisiert nämlich etwas anderes. Sie bildet die Bewegung von Protonen im Gewebe ab – und das heißt im Organismus in erster Linie von Wassermolekülen. Je nach Geschwindigkeit und Richtung dieser Molekülbewegung gibt es unterschiedliche Farbcodierungen, und so entstehen kunterbunte Bilder des Gehirns, die wenig mit dem gemein haben, was man sonst als Hirn-MR zu kennen meint. Nur: Was bedeuten Protonen, die sich bewegen? „Wenn das Wasser schnell in eine bestimmte Richtung diffundiert, dann sagt uns das, dass das Gehirn dort über sehr schnelle Verbindungen verfügt“, betont Thompson. Wenn die Diffusion langsamer und weniger gerichtet ist, spreche das eher für eine langsamere Informationsverarbeitung und damit – siehe einleitende Definition – für eine niedrigere Intelligenz. „Mit anderem Worten: Wir können uns mit der Diffusions-MR ein Bild davon machen, wie schnell ein Mensch denkt“, so Thompson.
Zeig mir dein Myelin, und ich sage dir, wie schnell du denkst
Der Clou an Thompsons Studie war, dass er nicht irgendwelche dahergelaufenen Blitzmerker und Langsamchecker von der Straße untersucht hat. Die 92 Probanden waren viel mehr 46 Zwillingspaare, die eine Hälfte eineiige Zwillinge und die andere Hälfte zweieiige Zwillinge. Damit konnte die Denkgeschwindigkeit gewissermaßen zwillingsübergreifend verglichen werden. Und nachdem es sich bei allen Probanden um Geschwisterpaare handelte, die gemeinsam aufgewachsen und entsprechend ähnlichen Umweltbedingungen ausgesetzt waren, deutet einiges in Richtung Genetik, wenn sich zweieiige Zwillinge in Sachen Denkgeschwindigkeit stärker voneinander unterscheiden als eineiige.
Und, nach all der Vorrede kein Wunder, das war dann auch der Fall: Die Integrität des Myelins, also das morphologische Korrelat für schnell fließende Protonen, war bei den Zwillingen klar genetisch determiniert. Eineiige Zwillinge hatten ähnliches Myelin, zweieiige unterschieden sich deutlich. Und besonders gut sichtbar war diese genetische Prädisposition des Hirntempos in einigen Hirnarealen, die als nicht ganz unwichtig für höhere Verstandesleistungen gelten. Das betraf etwa den Parietallappen, wo visuelle Informationen verarbeitet werden und wo Logik und räumliches Vorstellungsvermögen zu Hause sind. Auch im Corpus Callosum, der großen Gedankenautobahn zwischen den Großhirnhemisphären, war die genetische Komponente der Denkgeschwindigkeit sehr deutlich.
Auf der Suche nach dem Turbolader fürs Hirn
Blitzmerken ist also erblich. Aber was tun mit dieser Information? Thompson weist darauf hin, dass es ihm natürlich nicht um diese Erkenntnis gehe, die man ja in der Tat auch in der Rubrik „war doch eh klar“ ablegen könnte. „Der ganze Witz an dieser Forschung besteht darin, dass sie uns Einblicke in Hirnerkrankungen erlaubt“, betont er. Krankheiten wie die multiple Sklerose und der Autismus beispielsweise werden schon seit Längerem mit Fehlfunktionen der Myelinscheiden in Verbindung gebracht. Derzeit arbeiten die kalifornischen Wissenschaftler daran, die Gene genauer einzugrenzen, die für die MR-Unterschiede bei ihrer Zwillingsstudie verantwortlich sind. Diese Gene, so die Hoffnung, könnten Ansatzpunkte liefern für sinnvolle Therapiestrategien bei MS, Autismus und anderen Erkrankungen. Umgekehrt wäre natürlich auch ein medikamentöser Denkbeschleuniger im Bereich des Möglichen: „Bis dahin ist es noch ein langer Weg, aber denkbar ist das schon“, so Thompson.