Antikörper, die Heuschnupfen und Asthma auslösen, könnten bald schon in der Krebstherapie zum Einsatz kommen. Erste Versuche eines österreichisch-britischen Forscherteams stimmen hoffnungsvoll.
Wer an Asthma oder Heuschnupfen leidet, stirbt seltener an Krebs. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis kam vor drei Jahren eine Forschergruppe um Michelle C. Turner von der University of Ottawa, als sie im Rahmen einer epidemiologischen Studie die Daten von rund 1,2 Millionen US-Amerikanern auswerteten. Nach einer Beobachtungszeit von 18 Jahren wiesen Personen, die sowohl an Asthma als auch an Heuschnupfen litten, eine um elf Prozent geringere Wahrscheinlichkeit auf, an einem bösartigen Tumor zu versterben, als Teilnehmer ohne eine Allergie. Wurden bei der Auswertung nur die Nichtraucher berücksichtigt, waren die Unterschiede nicht mehr so deutlich.
Für die Immunologin Prof. Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie der Medizinischen Universität Wien bestätigten die Ergebnisse der Studie dennoch einen Verdacht, den sie schon seit einiger Zeit hegt: „Das Immunsystem könnte gegen Tumorzellen mit den gleichen Waffen vorgehen wie gegen Stoffe, die eine allergische Reaktion auslösen.“ Bei Heuschnupfen und Asthma sind es vor allem IgE-Antikörper, die an die Eiweiße der Blütenpollen andocken und weitere Abwehrzellen des Immunsystems mobilisieren.
Funktion der IgE-Antikörper liegt im Dunkeln
Zwar weiß man, wie eine allergische Reaktion im Detail abläuft, doch warum das Immunsystem von Allergikern die an für sich harmlosen Blütenpollen bekämpft, ist noch nicht wirklich geklärt. Auch welche Aufgaben IgE-Antikörper bei gesunden Personen haben, ist nach wie vor ein Rätsel. Die Vermutung, dass diese Antikörper eigentlich dafür verantwortlich sind, einen Angriff auf Würmer und andere Parasiten einzuleiten, teilt Jensen-Jarolim nicht: „Zwar haben Patienten mit parasitären Erkrankungen erhöhte IgE-Werte, aber sie entwickeln auch vermehrt Asthma.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass die IgE-Antikörper nur dafür da sind, Menschen krank zu machen. Deswegen ist der Forscherin eine andere Idee gekommen: Vielleicht könnten diese Antikörper eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Krebs spielen.
Mittlerweile hat Jensen-Jarolim erste experimentelle Belege für ihre These gefunden. Ihrem Team gelang es IgE-Antikörper direkt auf Krebszellen zu lenken: Die Antikörper entstammen Mäusen, die mit einem Brustkrebsprotein gefüttert wurden. Daraufhin produzierten die Tiere spezifische IgE-Antikörper gegen das Protein. Voraussetzung dafür war allerdings, dass die Magensäure der Tiere mit Medikamenten neutralisiert wurde, damit das Protein unverdaut den Darm erreichen und von dort ins Lymphsystem gelangen konnte.
IgE-Antikörper erkennen Krebszellen
Anschließend isolierten die Wissenschaftler die Antikörper aus abgenommenem Mäuseblut, hefteten sie in einer Petrischale zuerst an Mastzellen und gaben dann menschliche Brustkrebszellen hinzu. Nachdem die Antikörper diese erkannt hatten, stimulierten sie die Mastzellen und veranlassten sie zur Ausschüttung von Botenstoffen, die im Körper eine massive Attacke gegen die Krebszellen ausgelöst hätten.
Da sich Ergebnisse aus Tierversuchen selten eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen, weiß Jensen-Jarolim noch nicht, ob diese Schluckimpfung zur Bildung von Antikörpern vielleicht auch Tumorpatienten helfen könnten, ihre Krankheit zu bekämpfen. Immerhin gibt es seit einigen Jahren bereits Antikörper, die zu therapeutischen Zwecken an Patienten eingesetzt werden. Diese gehören jedoch allesamt zur Klasse der IgG-Antikörper, die solide Tumoren nicht besonders gut erreichen. Zudem müssen sie in großen Mengen verabreicht werden, was eine Therapie sehr teuer macht. Jensen-Jarolim ist überzeugt davon, dass IgE-Antikörper diese Aufgabe besser erfüllen, da die Abwehrzellen, mit denen sie fest verbunden sind, aktiv ins Gewebe eindringen. „Im Gegensatz zu den hauptsächlich frei im Blut schwimmenden IgG-Antikörpern finden sie so leichter Tumorzellen, und könnten in kleineren Mengen verabreicht werden“, sagt die Wissenschaftlerin.
Forscher erzeugen IgE-Variante von Herceptin
Zusammen mit ihrer Kollegin, der Biophysikerin Hannah Gould vom Londoner King’s College, hat Jensen-Jarolim vor Kurzem eine Möglichkeit ersonnen, die Wirkung beider Antikörper-Klassen direkt zu vergleichen. Ausgangspunkt war Roches monoklonaler Antikörper Trastuzumab, der schon seit einigen Jahren unter dem Handelsnamen Herceptin zur Behandlung bestimmter Brustkrebsarten zugelassen ist. Der IgG-Antikörper erkennt das Protein HER-2 auf der Oberfläche von Krebszellen. Die Forscherteams erzeugten eine IgE-Variante von Trastuzumab, die ebenfalls an HER-2 andockt. In Petrischalen brachten sie die beiden Typen jeweils mit Monozyten – im Blut zirkulierenden Immunzellen, die körperfremde Strukturen vernichten – und den Brustkrebszellen zusammen. Wie die Forscher im Fachblatt Cancer Immunology and Immunotherapy berichteten, erkannten beide Antikörpervarianten das Tumorprotein HER-2 und aktivierten dadurch die Monozyten.
Doch die Immunzellen zerstörten die Krebszellen, je nachdem durch welchen Antikörper sie stimuliert worden waren, auf völlig unterschiedliche Weise: Hatte sich die IgE-Variante an die Krebszellen angeheftet, wurden diese durch die Monozyten in den programmierten Zelltod (Apoptose) geschickt. Hatten die Krebszellen dagegen die IgG-Variante angelagert, nahmen die Monozyten sie in sich auf und zerlegten sie mit Hilfe spezieller Enzyme. Dies komme daher, so Jensen-Jarolim, weil der konstante Teil der beiden Antikörper an unterschiedlichen Rezeptoren auf den Monozyten anheftet und so die unterschiedlichen Antworten auslöst.
Klinische Studien fehlen
„Das sind interessante Ergebnisse, die jedoch durch klinische Beobachtungen bestätigt werden müssen“, findet Prof. Thomas Valerius, Leitender Oberarzt an der Sektion für Stammzelltransplantation und Immuntherapie der Universität Kiel. „Bislang ist es reine Spekulation, ob neben den IgG-Antikörpern noch Antikörper anderer Klassen Tumorpatienten wirklich helfen können.“
Deswegen plant Jensen-Jarolim nun einen Schritt weiterzugehen. Auch Hunde können an Brustkrebs leiden, wobei die Tumorzellen ebenfalls HER-2-Moleküle an der Oberfläche tragen können. Jensen-Jarolim die Forscherin möchte deshalb eine Hundevariante ihres IgE-Antikörpers herstellen und an den Vierbeinern erproben. Erst wenn das erfolgreich ist, könnten klinische Versuche am Menschen folgen.
Zurückhaltung in der Pharmaindustrie
Trotz der positiven Befunde zeigt Roche bisher kein großes Interesse an der IgE-Variante des Kassenschlagers Herceptin. Vielleicht ändere sich das, so Jensen-Jarolim, wenn der Patentschutz für den Antikörper ablaufe. Sie hofft dennoch auf eine baldige Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie: „Wir sind auf sie als Partner angewiesen, um therapeutische IgE-Antikörper durch die klinische Entwicklung zu bringen.“