Wer für die Empfängnis seines Nachwuchses auf Fremdsperma angewiesen ist, darf sich in Zukunft womöglich auf trockene Produkthaftungsgesetze des Staates New York berufen - und im Falle auftretender Probleme bei den Kindern die liefernde Samenbank verklagen.
Auf Sperma-Spender G738 hätten die Geschäftsleute von Idant Laboratories in New York vor nunmehr fast 14 Jahren besser achten sollen. Ein paar zusätzliche Tests, mitunter genauere Fragen – womöglich hätte die Samenbank den Mann als Donor nicht akzeptiert. Denn mit dem ersehnten Samen kam G738 auch mit einer bösen Überraschung einher: Seine Gene waren, so viel steht heute einwandfrei fest, weitaus weniger gesund als für den lukrativen Kommerz mit Erbgut erlaubt. Weil die Samenbank Mr. G738 aber als Spender zuließ, leidet seine heute 13-jährige genetische Tochter Brittany Donovan an den Folgen des sogenannten Fragilen-X-Syndrom: Verhaltensstörungen, mentale Probleme und eine schwierige Sozialisation zählen zu den Bürden des vorschnell gelieferten Samens.
Der Fall, bei dem erstmals eine Geschädigte nach mehr als einem Jahrzehnt die verantwortliche Samenbank verklagt, wird Rechtsgeschichte schreiben. Denn es geht um die schlichte Frage: Haften Samenbanken für das, was sie verkaufen, und wenn ja: für wie lange?
Nicht nur in den USA blicken Manager eines höchst lukrativen Reproduktionsmarktes daher mit Sorge auf den Ausgang des juristischen Megaevents. Denn am Ende des Verfahrens kann es für die Samenbanken kaum Vorteile geben: Verliert das Mädchen, würde das Image der Branche ramponiert und Vorbehalte blieben über Jahrzehnte hinweg bestehen. Gewinnt Brittany, hieße das für die amerikanischen Samenbanken vor allem eins: Die Garantiezeit für Erbgut beträgt lebenslänglich.
Im Staate New York gilt Sperma, erst einmal kommerziell vertrieben, als simples Produkt. Dafür müssen Hersteller zwar keine lebenslange Garantie gewähren. Jedoch kommt eine andere Besonderheit des amerikanischen Rechtssystems zum Tragen: Für Schäden, die irgendwann aus dem Gebrauch fehlerhafter Ware entstehen, haften die Produzenten noch nach Jahren. Nach Ansicht der Anwaltskanzlei „The Thistle Law Firm“, die neben Brittany seit 36 Jahren Patientenklagen gegen mächtige Medizintechnik- oder Pharmafirmen führt, gehe es in diesem Fall lediglich um die Frage, ob das Produkt Sperma von Anfang an fehlerhaft war – was schon auf Grund der Vererbbarkeit der Mutation eindeutig nachzuweisen ist. „Ob und wie sorgfältig gearbeitet wurde spielt keine Rolle“, erklärt Daniel Thistle, der das Mädchen vertritt.
Bremsen statt Blutschild
Unerwartete Schützenhilfe erhielt Brittany von Bundesrichter Thomas O’Neill, der den Fall von Pennsylvania in den Bundesstaat New York verlegte. Denn dort gilt das unter Juristen berüchtigte „Blood Shield Law“ nicht, das Anbieter von humanem Material vor horrenden Schadenersatzklagen schützt. Tatsächlich war das juristische Regelwerk in den 1980ern entstanden, um im Zuge der damaligen HIV-Blutspenderskandale die amerikanischen Blutbanken vor dem Ruin zu bewahren, und um auf diese Weise die Blutspenden-Versorgung des Landes aufrecht erhalten zu können. Die Blut-Schutzschild-Gesetze gelten noch heute in vielen Bundesstaaten der USA – und wurden mitunter auf Samenbanken ausgeweitet.
Dass ein Bundesresrichter genau diese Gesetze umgehen wollte, und den Fall in den „Blood Shield Law“ freien Bundesstaat New York verlegte, öffnet die Büchse der Pandora. Die meisten genetisch bedingten Leiden treten nämlich erst nach Jahren auf – und wären mit Hilfe simpler Produkthaftungsgesetze verhandelbar, sofern das Blood Shield Law nicht gilt.
Für Brittany Donovan könnte die Vorstellung, wie ein Auto mit defekten Bremsen behandelt zu werden, zunächst wenig schmeichelhaft erscheinen. Doch der Blick in die Erfolgsliste der sie vertretenden „Thistle Law Firm“ dürfte das Mädchen hoffen – und die Samenbanken der USA erzittern lassen: Einen Arzt, der wichtige Laborergebnisse seines daraufhin verstorbenen Patienten übersehen hatte, verklagte Thistle auf sieben Millionen US-Dollar. Und gewann.