Österreichische Forscher fanden bisher nicht beschriebene Zellmorphologien in der menschlichen Wirbelsäule: Die Chondroptose der Bandscheibe und die Ballon-Zelle. Auch wurde deutlich, dass ein Zusammenhang zwischen Verletzungstyp und Entstehung existiert.
Wirbelsäulenverletzungen kommt auf Grund ihrer kurz- und langfristigen Auswirkungen wie bleibende neurologische Schäden, Instabilitäten und Deformitäten im Vergleich zu anderen Verletzungen des Bewegungsapparates eine besondere Bedeutung zu. Häufige Begleitverletzungen sind Bandscheibenläsionen. Sie entstehen meist im Zuge von Wirbelkörperfrakturen. Wie geht der Zelltod nach Bandscheibenverletzungen vonstatten? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der Universität Innsbruck und des Centre for Spinal Studies in Oswestry (UK) in einer prospektiven Studie nach. Sie führten erstmals genaue Untersuchungen zum Zelltod und Überleben von traumatisierten Bandscheibenzellen im Elektronenmikroskop durch. Dazu untersuchten sie stark geschädigtes Bandscheibengewebe aus der menschlichen Halswirbelsäule und Proben aus dem Bandscheibengewebe von Schweinen. Dieser Vergleich ergab sich aus der morphologischen Ähnlichkeit der beiden Gewebe. Die Resultate der Forschungsarbeit lassen eine klare Aussage über das Ausmaß der Schädigung von Bandscheibengewebe und eine genaue Dokumentationen verschiedener Formen des Zelltods zu.
Zelltod, Zellmutation, Reparaturzelle
Aus zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass Kompressionsverletzungen im Knorpelgewebe und der Wirbelsäule zum Zelltod führen. Die Studie aus Innsbruck beschreibt eine zusätzliche Form des Zelltods für die Bandscheibe: Die Chondroptose. Sie war bislang nur im Gelenksknorpelgewebe gefunden worden. Diese Morphologie des Zelltods tritt nach Kompression in einem deutlich höheren Ausmaß auf. Zusätzlich konnte bis zu drei Tage nach einem Trauma ein bislang unbekannter Zelltyp entdeckt werden: Die Ballon-Zelle. Sie wurde bislang weder im Bandscheibengewebe noch im Knorpelgewebe beschrieben. „Die Ballon-Zelle tritt nach Kompressionsverletzungen im vorderen Anteil der Bandscheibe auf“, erklärt Dr. Ingrid Sitte, Leiterin des Morphologischen Labors der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Innsbruck. Mit Hilfe von transmissions-elektronenmikroskopischen Untersuchungen hat die Forschungsgruppe diesen neuartigen Zelltyp charakterisiert. Aufgrund der Zellmorphologie ließen sich bis zu 50 Prozent der gesamten Zellen diesem Typ zuordnen. Die Ballon-Zelle zeichnet sich durch einen fast vollständig homogenen Zellkern aus. Solche Zellkerne, bei denen es zu einer Entspiralisierung des Heterochromatins kommt und die fast ausschließlich Euchromatin zeigen, finden sich normalerweise nur bei hochaktiven Zellen, wie etwa in entzündlichen Geweben oder beim Multiplen Myelom.
Frakturtyp bestimmt Zelltod und Zellaktivität
Zwischen einwirkender Kraft und Zellmorphologie besteht nachweisbar ein Zusammenhang. „Die Art der Verletzung der Halswirbelsäule hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Zellmorphologie. So konnten wir nach Rotationsverletzungen, bei denen wenig Kompressions-, sondern vor allem Scher- und Zugkräfte wirken, keine Ballon-Zellen nachweisen“, so Sitte. „Wir können aber mit Sicherheit sagen, dass es nach Kompressionsverletzungen, auch in Kombination mit Scher- und Zugkräften auf die Wirbelsäule, zur Bildung solcher wahrscheinlich aktiver Zellkerne kommt“. Bislang wurde Knorpelgewebe nur wenig Regenerationsfähigkeit zugeschrieben. Ob spezielle Umstände wie der Degenerationsgrad die Regeneration beeinflussen und wie sich Zellen in geschädigtem Bandscheibengewebe weiter verhalten, werden weitere Untersuchungen zeigen. Da die Ballon-Zelle bislang nur nach Kompressionsverletzungen nachweisbar war und bei gesundem Bandscheibenmaterial von Schweinen nicht nachgewiesen werden konnte, stellt sich die Forschungsgruppe nun der Frage, ob eine Spontanmutation die Zelle zu einer nützlichen Reparaturzelle werden lässt.