Die Medizinische Universität Wien hat einen Kulturwandel vollzogen und tut es der Luftfahrt gleich: Für das Wiener AKH gelten seit kurzem Standard Operation Procedures. Für 436 Krankheitsbilder wurden Medizinische Leitlinien erstellt.
Bei drei von 1.000 im Spital aufgenommenen Patienten ereignen sich schwerste bis tödlich verlaufende vermeidbare Zwischenfälle (Pateisky, 2004). In jedem komplexen System sind Zwischenfälle unvermeidbar. Organisationen, die in Hochrisikobereichen agieren, haben der Bevölkerung gegenüber eine Verantwortung eine Sicherheitskultur zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. In der Luftfahrt wird dieser Verantwortung mit Standard Operation Procedures (SOPs) seit Jahren Rechnung getragen. Österreichweit haben Krankenhäuser und Kliniken mit der Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen begonnen. Nun hat die Medizinische Universität Wien den Schritt zur Evaluierung gewagt und Leitlinien für das Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH) ausgearbeitet. Sie verdeutlichen Krankheitsverläufe, verbessern die Kommunikation zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, fördern Teamdenken und fachübergreifendes Handeln.
Checklisten für 436 Krankheitsbilder
Grundlage für jede Leitlinie ist eine spezielle medizinische Aufgabenstellung, für die eine systematische angemessene ärztliche Vorgehensweise entwickelt wurde. Dazu definierte und evaluierte man zunächst die relevantesten Diagnosen. Auf Grundlage internationaler wissenschaftlicher Untersuchungen basierend auf wissenschaftlicher Evidenz wurden für 436 Krankheitsbilder Leitlinien erstellt, die für die behandelnden Ärzte eine Empfehlung zu Diagnostik und Therapie der häufigsten Erkrankungen definieren. Jede Leitlinie muss einmal pro Jahr auf Aktualität überprüft werden. Liegt ein Update mehr als 12 Monate zurück, wird die Leitlinie im hauseigenen Computersystem Offline geschaltet und ist erst wieder nach der neuerlichen Freigabe abrufbar. Unmittelbar verantwortlich für die Erstellung der SOPs waren die fachlich zuständigen Kliniken, die ihr evidenzgesichertes Vorgehen dokumentieren. Bei Überschneidungen wurden einheitliche Standards angestrebt und die Lehrmeinungen evaluiert. Entscheidend waren hierfür in erster Linie der nachgewiesene Behandlungserfolg und die bisherigen Erfahrungswerte. Um das Protokoll abzusichern ging vor der Freigabe durch das Vizerektorat und die Ärztliche Direktion des AKH die SOP in einer Korrekturschleife durch alle relevanten Abteilungen.
Bemerkenswert: Internes Projekt
Die Med-Uni Wien folgt mit der systematischen Entwicklung der SOPs einen neuen Trend der Qualitätssicherung in Diagnostik und Therapie. Sie vergab die Ausarbeitung der Leitlinien allerdings nicht an eine Agentur, sondern nahm das Thema als internes Projekt in Angriff. „Wir haben zum Glück in vielen Bereichen Experten im Haus, die nicht nur in Österreich, sondern auch international in ihren Fachgebieten zu den gesuchten Experten zählen. Auf dieses Know-How können wir bei der Erstellung der Leitlinien zurückgreifen“ freut sich Projektleiterin Prof. Gabriela Kornek von der Universitätsklinik für Innere Medizin I. Für die Patienten am AKH bedeutet die Anwendung der Medizinischen Leitlinien nicht nur eine jederzeitige Verfügbarkeit des wissenschaftlichen „State of the Art“ sondern zusätzliche Sicherheit. Die medizinischen Leitlinien werden auch einen wichtigen Stellenwert bei der Aus- und Fortbildung von Ärzten und Studierenden einnehmen. Sie sind nicht nur der Standard, der an der Medizinischen Universität Wien vertreten wird, sie sind auch ein Kompendium für die an der Universität vertretene Lehrmeinung. Sie legen den Grundstein für eine dritte Wiener medizinische Schule auf Basis internationaler Erkenntnisse.