Auf der Suche nach neuen Umsatzquellen und Patienten versuchen Krankenhäuser ganz neue Wege zu gehen. Ungewöhnliche Marketingkonzepte schließen Wal-Mart, Aldi, Lidl & Co nicht mehr aus. Die Ziele in Amerika und Deutschland sind identisch, aber die Philosophie eine sehr unterschiedliche.
"Walk-in"-Clinics in Wal-Mart-Märkten sind nichts Neues. Neu ist, dass inzwischen mehr als 25 davon mit einem Krankenhaus liiert sind. Und Wal-Mart kündigte gerade an, dass kurzfristig ein weiteres Dutzend an Retail-Kliniken mit Hospital-Anbindung dazu kommen wird. Die Cleveland Clinic hat der Handelskette des Pharmazieanbieters CVS ihre Namensrechte an deren "Walk-in"- bzw. Retail-Kliniken verliehen. Die Mayo Clinic betreibt zwei "Express Care"-Kliniken in einem Supermarkt und in einer Shopping Mall. Laut Merchant Medicine News gibt es in den USA inzwischen über tausend "Walk-in"-Kliniken. Zehn Prozent davon sind bereits eine Connection mit Hospitälern eingegangen. Tendenz wachsend, so die Kaufleute.
Marketinginstrument zur Patientengewinnung
Während amerikanische Hausärzte gegen den "billigen" und "unwürdigen" Wettbewerb protestieren, sehen die Kliniken darin eine Chance, mehr potenzielle Patienten zu erreichen und damit ihre Geschäftsbasis zu erweitern. Interessant ist nicht das Geld, das in den Supermarktketten mit medizinischer Basisversorgung verdient wird. Interessant ist das Commitment als Marketinginstrument zur Kundengewinnung und zur Kundenbindung. Der dafür geläufige Begriff aus der Wirtschaft, "Customer Relationship Management (CRM)", ist offensichtlich im amerikanischen Gesundheitswesen angekommen. Die Kundschaft, die neben Convenience Food die Vorteile der "Convenience Care" für sich entdeckt hat, sei genau die Zielgruppe - beispielsweise Frauen im gebärfähigen Alter -, deren Gunst man gewinnen möchte, so die Befürworter dieser Krankenhaus-Politik. Von Vorteil für Hospitalbetreiber ist sicherlich auch, dass man in den "Walk-in"-Clinics nur den behandeln muss, der bar zahlt oder eine Versicherung hat. In einigen amerikanischen Staaten dürfen Menschen, die zahlungsunfähig sind, laut Gesetz nicht von der Notfallaufnahme, den Emergency Rooms, abgewiesen werden.
Deutsches Krankenhausmarketing zurückhaltend
Auffällig ist, wie unverblümt amerikanische Klinikbetreiber über die wirtschaftlichen Hintergründe ihrer Marketingpolitik in den Medien sprechen. Ganz anders hier in Deutschland. Die privaten Klinik-Ketten wie Asklepios & Co haben zwar Marketing-Abteilungen, aber in der Öffentlichkeit möchte man nicht den Eindruck einer marketing-getriebenen bzw. gewinnorientierten Politik erwecken. Vornehm zurückhaltend spricht man vom Kommunikations- oder Informationskonzept. Und bei der inzwischen häufigen Liaison mit Gesundheits- oder Medizinischen Versorgungs-Zentren (MVZ) verfolgt man das Ziel einer "kooperativen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Patienten, Haus- und Fachärzten", so zu lesen bei Asklepios. Was ist eigentlich so verwerflich daran, dass eine Klinik wie ein marktwirtschaftliches Unternehmen geführt wird und für sich Werbung macht? Die Veränderungen im Gesundheitswesen seien noch nicht in den Köpfen angekommen, erklärt Susanne Heintzmann, Bereichsleiterin Marketing und Public Relations der Sana Kliniken AG. "Das Krankenhaus-Bild entspricht immer noch der Wahrnehmung von vor zehn Jahren". Tatsache ist, dass das Thema Patientengewinnung für deutsche Krankenhäuser mindestens so relevant ist wie in Amerika.
Nurses mit hohem Ausbildungsniveau
Der Erfolg der "Walk-in"-Clinics ist letztlich auch eine Antwort auf das marode Gesundheitssystem der Amerikaner. Es ist das teuerste der Welt, das sich schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Menschen nicht leisten können. Das heißt, sie sind nicht krankenversichert. Für diese einkommensschwache Bevölkerung stellen die Supermarkt-Praxen eine willkommene Alternative dar, weil sie preiswerte und schnelle medizinische Basisleistungen anbieten. Im Vergleich zu den Hausarztpraxen arbeiten "Walk-in"- Kliniken kostengünstiger, weil sie hauptsächlich "Nurse Practitioners" beschäftigen. Wäre das in Deutschland überhaupt möglich? Dr. med. Stefan Palm, Gründer und Ärztlicher Leiter der PAN Klinik in Köln, kann sich vorstellen, dass es ähnliche Einrichtungen in 4 bis 5 Jahren auch hier gibt. Das Projekt der Hebamme AGnES sei so zum Beispiel ein Schritt in diese Richtung. In Amerika funktionieren laut Palm diese "Walk-ins", weil die "Nurse Practitioners" eine sehr gute Ausbildung, teilweise mit Bachelor-Abschluss, haben. Das gleiche System gebe es außerdem bereits in vielen anderen Ländern, um die medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Im Rahmen kostendämpfender Maßnahmen wird sich auch Deutschland darauf einstellen müssen.
Vernetzung mit dem zweiten Gesundheitsmarkt
Und was können deutsche Krankenhäuser speziell zur Patientengewinnung machen? Laut Klinikdirektor Palm zeichnet sich ein Trend in die Vernetzung mit dem zweiten Gesundheitsmarkt ab. Im Vordergrund stehen präventive Maßnahmen wie Ernährungsberatung oder Bewegungstherapien. Die gesundheitlichen Schäden, die durch falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Nikotin oder Alkoholmissbrauch entstehen, so Palm, können in Zukunft nicht mehr von den Krankenkassen getragen werden. Der Patient werde zunehmend selber dafür Sorge tragen müssen, dass er gesund bleibt. Der gleiche Ansatz findet sich auch im "ConceptHospital", einem Brainpool, der von Dr. Markus Müschenich, medizinischer Vorstand der Sana Kliniken AG, initiiert wurde. Sein Plädoyer: "Kein Krankenhaus der Zukunft kann es sich erlauben auf einen Patienten nur deshalb zu verzichten, weil er nicht krank ist".
Super-Marked-Based-Medicine
Müschenichs Visionen basieren auf Marketing-Bausteinen aus Produkt-, Vertriebs-, Kommunikations- und Preispolitik, die die Wirtschaft seit Jahrzehnten praktiziert. Ob Frühbucher-Bonus, Treue-Rabattstaffel, Medical Meal Deal Preis oder Versteigerung von Schönheitsoperationen - alles ist wert, unter die Lupe genommen zu werden. Eine der ConceptUnits im Brainpool ist die "Super-Market-Based-Medicine". Laut Müschenich sind Szenarien vorstellbar wie beispielsweise: Krankenkassen kooperieren mit Supermärkten, Mergers & Acquisitions wie "Aldi kauft Asklepios" oder Produkt-Scans mit dem Personal onHealth Assistent nach dem Motto: "In Ihrem Einkaufswagen befinden sich Butter und Leberpastete. In Kenntnis Ihrer Anamnese und der Laborwerte vom 03.06.2008 werden alternativ folgende Marken empfohlen:". Und was hat das mit dem Krankenhaus zu tun? "Das Spital ist das Betriebssystem des Gesundheitswesens", so sein Vorschlag zum strategischen Leitbild für das Krankenhaus der Zukunft. Bevor die Emotionen jetzt hochschlagen - es ist eine Vision. Und die ist eigentlich interessanter als bei Wal Mart in eine "Walk-in" Clinic zu gehen.