Blitzschläge, bei denen Menschen betroffen sind, gehören keinesfalls zu seltenen Ereignissen. Camper, Biker, Golfer - alle Outdoor-Enthusiasten gehören zur Risikogruppe. Medizinisches Wissen über wichtige Details entscheidet daher oft über Leben oder Tod.
Die Erinnerung an den 27. Mai 2007 hält bei den Rettungskräften bis heute an: Vollkommen unerwartet hatte ein Blitz im kleinen brandenburgischen Örtchen Werbig vier Bauarbeiter getroffen, lediglich einer der Männer überlebte schwer verletzt. Der darauf folgende Juni erwies sich in Sachen Blitzschlag noch verheerender, wie die Statistiken des Deutschen Wetterdienstes (DWD) im Nachhinein belegen. Gleich 14 Menschen wurden am 9. Juni in Wenden im Sauerland bei einem Fußballturnier verletzt, nur einen Tag später gab es aufgrund der gleichen Ursache 13 Verletzte auf einem Zeltplatz am Nürburgring sowie ein Opfer in Immenstadt im Allgäu. Am 13. des Monats kam bei Weimar ein Angler und am 21. bei Euskirchen ein Erdbeerpflücker ums Leben. Schließlich verletzte am 25. des unheilvollen Monats ein Blitzschlag drei Fußballerinnen in München. Die Fälle, die sich endlos weiterführen ließen, belegen vor allem eins: Ärzte wären gut beraten, in Sachen Stromverletzungen CME-Fortbildungspunkte zu sammeln – die Gewitterzeit 2009 rückt an.
Dass in Punkto Therapie und Diagnose Strom nicht gleich Strom ist, zeigt eine aktuelle Veröffentlichung des Wiener Professors Manfred Frey. Der an der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der Medizinischen Universität Wien arbeitende Fachmann macht deutlich, dass erwartungsgemäß schon die Stromstärke über den weiteren Verlauf der Behandlung bestimmt, die Erkennung wichtiger Symptome aber schwierig bleibt.
So gilt die Stromstärke von nur 16 Milli-Ampere (mA) als jene Schwelle, bei der ein Mensch den Stromleiter relativ gefahrlos zwar berühren – aber nicht mehr loslassen kann. Doch ab 2 Ampere setzt die Lähmung der Atemmuskulatur ein, oberhalb von acht Ampere ist der Schwellenwert zum Kammerflimmern überschritten. Danach folgen Asystolie und schwere thermoelektrische Schäden.
Allein das freilich reicht für das Verständnis von Stromunfällen nicht aus. Ein Blitzschlag, bei dem Stromstärken von mehr als 200.000 Ampere und Spannungen von über 30 Mio. Volt auftreten, führt beispielsweise ebenso wie ein Stromunfall im Haushalt bei Niederspannung zum Herzstillstand – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Der Blitzschlag verursacht nämlich eine Asystolie, Spannungen von weniger als 1000 Volt indes lösen Kammerflimmern aus. Auch die Ursachen der Atemlähmung sind keinesfalls identisch. Während Hochspannung (mehr als 1000 Volt) ebenso wie Niederspannung (Haushaltsunfälle) meist tetanische Kontraktionen der Atemmuskulatur hervorruft, führt der Blitzschlag über die direkte Schädigung des Zentralen Nervensystems (ZNS) zur fatalen Atemlähmung. Patienten, die den Blitz überlebten, werden in der Regel sehr selten eine Rhabdomyolyse aufweisen, Opfer von Hoch- und Niederspannungsunfällen hingegen müssen häufig mit der unliebsamen Elimination von Muskelfasern zu kämpfen haben. Ärzte wären demnach gut beraten, auf mögliche Folgekomplikationen wie etwa das akute Nierenversagen zu achten, raten Frey und seine Co-Autoren. Ebenfalls sollten Rettungsmediziner wissen, dass ihre Patienten womöglich bereits beim Eintreffen der ärztlichen Hilfe querschnittsgelähmt sein können. „Das Rückenmark kann bei einem horizontalen Arm-zu-Arm-Stromfluss zwischen C4 und C8 regelrecht durchtrennt werden“, schreiben dazu die Autoren der Publikation im Wiener Klinischen Magazin.
Als nicht minder tückisch erweisen sich weitere Auswirkungen von Ampere und Volt am Unfallort. „Vorübergehende Störungen des autonomen Nervensystems , insbesondere nach Blitzverletzungen, können fixierte lichtstarre Pupillen verursachen, die gerade klinisch bei einem bewusstlosen Patienten das Vorliegen einer schweren Hirnschädigung oder sogar als klinischen Tod wahrgenommen werden können“, mahnt Frey seine Kolleginnen und Kollegen zur Vorsicht.
Tatsächlich ist die Kenntnis solcher Feinheiten von enormer Bedeutung – auch aus juristischer Sicht. Denn während beispielsweise bei anderen Massenunglücken zunächst die Verletzten mit erkennbaren Lebenszeichen behandelt werden, sollten Notärzte bei mehreren Blitzgeschädigten die scheinbar Leblosen als erste im Augenschein nehmen: Selbst wenn zwischen Blitzschlag und Eintreffen der Rettungskräfte einige Zeit vergeht sind Opfer mit Herz- und Atemstillstand grundsätzlich reanimierbar.