Schätzungen zufolge nutzen bis zu 80 Prozent der Krebspatienten neben konventionellen Therapien alternative Heilmethoden. Gefahr besteht, wenn alternative Heilmittel mit der konventionellen Behandlung interagieren und behandelnde Ärzte davon nichts ahnen.
Alternative Medizin, komplementäre Medizin, Naturheilmittel, Homöopathie, Nahrungsergänzung, pflanzliche Medikamente – die „sanfte“ Medizin findet auch bei Krebspatienten immer mehr Beachtung. Kommen doch die Produkte der komplementären und alternativen Medizin (CAM-Produkte) dem Wunsch des Einzelnen nach, auf die Eindämmung der Erkrankung oder auf Nebenwirkungen der meist aggressiven konventionellen Behandlungen aktiv Einfluss nehmen zu können.
Was der Arzt nicht weiß…
Die unkritische Einnahme von CAM-Produkten und die fehlende Information der behandelnden Ärzte können allerdings problematisch sein, weiß Dr. rer. nat. Hans-Peter Lipp, Chefapotheker der Universitätsklinik Tübingen. Eine Übersicht stellte er im Artikel „Chancen und Risiken der komplementären und alternativen Medizin bei Tumorpatienten“ zusammen, veröffentlicht in der Zeitschrift Onkologische Pharmazie und auf den Internetseiten der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie e.V.
Lipp, Mitglied der Arbeitsgruppe Onkologie des Ausschusses klinische Pharmazie, benennt Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2000, die das Fachmagazin Cancer veröffentlichte: Danach nahmen bereits vor neun Jahren 37 Prozent der Patienten mit Prostatakarzinom bei gleichzeitiger Strahlentherapie CAM-Produkte ein. Dies waren v.a. Sojaproteine, Vitamin E, Selen, das Carotinoid Lycopin und pflanzliche Teedrogen. Die behandelnden Ärzte wussten über die Einnahme allerdings nur bei vier Prozent der Patienten bescheid. Die Einnahme von CAM-Produkten dürfte bei diesen und anderen Krebspatienten bis zum heutigen Tage weiterhin gestiegen sein.
…macht ihn durchaus heiß
Immer wieder von Bedeutung sind chemische Verunreinigungen von phytotherapeutischen Produkten mit pharmakologisch wirksamen Stoffen, die zum Teil schwerste Nebenwirkungen nach sich ziehen können. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist die Verunreinigung von PC-SPES (PC = Prostata Cancer; spes = Hoffnung) mit dem Antikoagulans Warfarin, dem chemischen Östrogen Diethylstilbetrol, dem Antirheumatikum Indometacin und dem Benzodiazepin Alprazolam.
Weiteres Beispiel ist die Einnahme von Phytoöstrogenen etwa auf Sojabasis bei Frauen mit Wechseljahrs-Beschwerden. Diese sind nicht immer unbedenklich und können je nach Einnahme in der Prä- oder Postmenopause sogar zu erhöhtem Risiko für Tumoren führen. In Vitro-Studien ergaben, das Phytoöstrogene die antiöstrogene Wirkung des Tamoxifens teilweise aufheben bzw. das Wachstum hormonsensitiver Tumorzellen stimulieren.
Wechselwirkungen mit konventionellen Therapeutika sind etwa auch für Johanniskraut bekannt. Es hat potenzielle Cytochrom P 450 3A4-iduzierende Eigenschaften und soll deshalb bei gleichzeitiger Chemotherapie nicht angewendet werden. Daneben ist bei den Antioxidantien, darunter Vitamin A, C und E, Vorsicht geboten. Ihre Schutzwirkung vor Krebs ist nicht belegt. Bei gleichzeitiger Chemo- oder Strahlentherapie ist die über empfohlene Dosen hinausgehende Einnahme von Antioxidantien zu vermeiden, so Lipp. Allerdings gibt es noch mehr mögliche Interaktionen zwischen konventionellen Therapien und CAM-Methoden.
Onkologische Komplementärmedizin – nicht ohne EBM
Um die möglichen Gefährdungen durch CAM-Produkte weiß auch Professor Karsten Münstedt, stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt der Frauenklinik des Universitätsklinikums Gießen und Marburg. Neben Blutungs- und Infektionsrisiken sowie substanzspezifischen Risiken sind die möglichen Interaktionen zwischen CAM-Produkten und konventionellen Therapien bedeutsam. Aufgrund der verschiedenen Wirkstoffe von CAM-Produkten, unterschiedlichen Hormontherapien, Zytostatika und Antikörpern in der Onkologie sind Interaktionen sogar wahrscheinlich, heißt es in einer Veröffentlichung von Münstedt bei der Deutschen Krebsgesellschaft. Dies gilt insbesondere für die Dauerbehandlung. Für Patienten schrieb er einen Patientenratgeber, in dem er alternative Therapien medizinisch bewertet.
Es gibt wenige komplementäre Therapieverfahren, die ihre Wirksamkeit bereits in Studien unter Beweis gestellt haben. Dies gilt z. B. für die Akupunktur etwa bei Schmerzen von Tumorpatienten und Erbrechen durch die Chemotherapie. „Nach wie vor sind CAM-Produkte kein integraler Bestandteil der konventionellen Therapie, wenn der klinische Beweis für die Wirksamkeit und Verträglichkeit fehlt“, meint auch der Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums, weshalb entsprechende Verfahren in Leitlinien weitgehend unbeachtet bleiben. Um negative Auswirkungen komplementärer Therapien zu vermeiden, aber möglicherweise auch um deren Potential zu nutzen, sind umfangreiche Kenntnisse der konventionellen Onkologie und der komplementären Methoden unerlässlich, so Münstedt. Für wichtig hält er die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema sowie Fortbildungsmöglichkeiten.