Der Rollator weist den Weg, Auto-Piloten verhindern Unfälle im Straßenverkehr, iPhones am Arm melden Notfälle. Ein Projekt verspricht Senioren geballte Technik für zuhause und unterwegs, um so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Deutschlands liebstes Gadget im Auto, das Navi, soll in Zukunft auch alten Menschen als Kompensation nachlassender physischer und kognitiver Fähigkeiten den Alltag erleichtern. Installiert auf Rollatoren oder Rollstühlen sollen die so genannten Navigations-Assistenten den richtigen Weg zum Zielort mit Pfeilen weisen oder gar das Fahren selbst übernehmen. Integrierte Fahr- und Geh-Assistenten sollen dabei Kollisionen mit Hindernissen vermeiden. Erste Prototypen hat das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) bereits entwickelt. Zwar sind die derzeitigen Rollstuhl- oder Rollator-Navis noch nicht mit GPS (Global Positioning System) für den Outdoor-Bereich ausgerüstet, aber eine spätere Einbindung ist bereits geplant. Für Senioren, die im fortgeschrittenen Alter noch gut zu Fuß sind und nicht auf ihr Auto verzichten wollen, werden technische Hilfen entwickelt, die in Zukunft schwere Unfälle durch Kontrollverlust vermeiden sollen. Der so genannte Nothalteassistent der BMW Forschungsgruppe aktiviert beim Erkennen eines Fahrer-Blackouts automatisch die Warnblinkanlage, bringt das Auto selbststeuernd – den restlichen Verkehr beachtend – an den rechten Straßenrand und alarmiert die Notrufzentrale. Sensoren, die in Airbags, Gurten, etc. untergebracht sind und verschiedene Vitaldaten wie Puls, Blutdruck oder Temperatur überwachen, bilden die Grundlage des Assistenzsystems. Die Ermittlung der Vitaldaten ist Sache der Projektpartner Siemens und Charité Berlin. Diese Form der Zusammenarbeit hat seit Kurzem einen Namen. Das Projekt heißt "SmartSenior" und ist das erste, das kürzlich im Rahmen der europäischen Ambient Assisted Living"-Initiative (AAL) gestartet wurde.
".... problemlos in seiner Wohnung zusammenbrechen"
Die Förderung von "Altersgerechten Assistenzsystemen für ein gesundes und unabhängiges Leben", AAL, ist in Deutschland auf 17 Projekte verteilt, für die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt 45 Mio. Euro zur Verfügung stellt. "SmartSenior", der medizinische Teil von AAL, ist mit 29 Partnern aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft das vom Fördervolumen größte AAL-Projekt. Es wird vom BMBF mit 25 Mio. Euro bezuschußt. 18 Mio. Euro kommen aus der Wirtschaft dazu. Das Ziel des Projekts reduziert die Süddeutsche auf die Aussicht: "In Zukunft kann man problemlos in seiner Wohnung zusammenbrechen. Der Sensor-Teppich alarmiert die Feuerwehr". Aha.
Vernetzung von Forschung und Wirtschaft
Das wird dem Gesamtprojekt sicherlich nicht gerecht. Aber nach den laut Projektbeschreibung des BMBF neuartigen Technologien sucht man vergeblich. Viele der Komponenten sind aus Publikationen bereits bekannt, zumindest vom Ansatz her. Man denke nur an die vielen Prototypen von Senioren-Wohnungen und -Häusern mit Hightech-Ambiente. Wenn es nicht die Technologie ist, was ist dann so neu am "SmartSenior"? Sebastian Mersmann, Arzt in der Forschungssgruppe Geriatrie der Berliner Charité, verweist auf die erstmalige Vernetzung von Hightech-Entwicklungen aus Wissenschaft und Wirtschaft. Bisher sei das an fehlenden Finanzmitteln gescheitert. Die Initiative des BMBF, die auch Krankenkassen, Gesundheitseinrichtungen und Bauherren in das Projekt einbezieht, sei ein wichtiger Anreiz für die Privatwirtschaft, sich auch finanziell zu beteiligen. Das Ziel von "SmartSenior" seien zukunftsfähige, marktreife Produkte, so Mersmann.
Anregungen aus alltäglichen Produkten
Neben viel Mikrosystemtechnik, sprich Sensoren, kommen vermehrt auch Technologien zum Ansatz, die sich bereits in Alltagsprodukten bewährt haben. So werden in der Forschungsgruppe Geriatrie der Berliner Charité beispielsweise so genannte "Serious Games" in Anlehnung an Wii-Spielekonsolen zur Prävention von Stürzen bzw. zur Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten entwickelt. Die Wissenschaftler verfolgen damit das Ziel, Bewegung spielerisch zu aktivieren. Beispielsweise, um die Gangsicherheit zu verbessern. Oder, damit Patienten wieder schrittweise lernen, den gelähmten Arm zu bewegen. Die Berliner hoffen, dass mit den Spiel-Programmen auch regelmäßige Trainings am Home-PC angeregt werden. Ganz ohne Sensoren geht es auch in diesem Projekt nicht. Am Körper angebracht sollen sie Trainingseffekte messen, sodass der Therapeut oder auch der Patient Korrekturen vornehmen kann. In einem anderen Projekt entwickelt Siemens Sensor-Armbänder für zu Hause und unterwegs. Mit mikroskopisch feinen Fühlern sollen in Zukunft Atmung, Puls, Schweiß, Zucker- und EKG-Werte gemessen und Abweichungen an die Notfallzentrale gemeldet werden. Für die Datenübertragung ist eine standardisierte Schnittstelle vorgesehen, die auf der Basis der iPhone-Technologie realisiert wird. In einem Jahr soll ein Prototyp zur Verfügung stehen und am Beispiel der Bauchfelldialyse gestestet werden.
Frage der Technologie-Akzeptanz
Mikrosystem- und Kommunikationstechnik, die das Leben für ältere Menschen im gewohnten Lebensumfeld leichter machen sollen, spielen auch in den anderen AAL-Projekten eine wichtige Rolle. Beispielsweise bei den Bewegungssesseln, die in der Armlehne eine Schnittstelle zum Fernseher zur Visualisierung von Vitalparametern und Bewegungsanregungen haben. Von innovativen Angeboten für eine interessierte und zahlungskräftige Zielgruppe ist die Rede. Ein Round-the-Clock-System soll Pfleger oder Angehörige alarmieren, wenn Abnormitäten im Schlaf- und Wachverhalten, beispielsweise durch Stürze verursacht, registriert werden oder nicht ausgeschaltete Hausgeräte bzw. eine überlaufende Badewanne. Das System soll etwa 3.500 Euro kosten. Für Demenzgefährdete wird ein Web-basierter Dienst entwickelt, der u.a. Trainings zur Kommunikations- und Gedächtnisfähigkeit anbietet, die Strukturierung des Alltags unterstützt oder mit Hilfe der RFID-Technologie verloren gegangene Dinge lokalisiert. Bei allen Projekten wird die individuelle, stufenweise Anpassung an die Lebensumstände betont. Bleibt die Frage, wieviel Technologie die zukünftige Senioren-Generation bereit ist zu akzeptieren. Und die Frage, wie viele alte Menschen sich diese geriatrischen Gadgets überhaupt leisten können oder wollen? Oder verleitet die Aussicht auf ein längeres Leben in den eigenen Wänden die Menschen, noch im späten Alter zu Techno-Freaks zu mutieren ungeachtet der Kosten? Es könnte aber auch sein, dass die jungen Senioren auf High-Tech nicht verzichten wollen, weil sie damit groß geworden sind. Im Rahmen von "SmartSenior" soll deswegen auch getestet werden, ob, wann und wie Technik im Alter akzeptiert wird.