"Was ich als Doktorarbeit gemacht habe? Ich habe Kindern in Chile die Fingernägel geschnitten." Über Stellas Dissertation und der begleitenden Abenteuer könnt Ihr jetzt in diesem Bericht aus erster Hand lesen.
Ich war bereits einige Monate am Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der LMU München als Studentische Hilfskraft angestellt, als mir Frau Prof. Dr. Katja Radon eine Doktorarbeit anbot. Eine epidemiologische Pilotstudie in einem kleinen Ort in Chile, eine Kooperation mit der Universidad Católica del Norte, Coquimbo. Titel der Studie: „Quecksilberbelastung und neurologische Symptome bei Kindern in Andacollo“. Spanisch hatte ich bereits einige Jahre zuvor aus Interesse zu lernen begonnen, eine Reise nach Lateinamerika war seit langem ein Traum von mir und die Neurologie hatte es mir sowieso angetan. Also stand meine Entscheidung schnell fest: Ich sagte zu und begann, mich in das Thema einzuarbeiten.
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Die hohe Quecksilberexposition ist bedingt durch die Goldgewinnung, die in vielen Ländern noch auf traditionelle Art und Weise erfolgt: Die Arbeiter mischen gemahlenes Gestein mit flüssigem Quecksilber, das sich mit dem im Stein enthaltenen Gold verbindet. Das so entstandene Amalgam wird erhitzt, das Quecksilber verdampft und das Reingold bleibt zurück. Der Prozess der Verdampfung wird meist in den privaten Haushalten durchgeführt. Der Quecksilberdampf verteilt sich in der Luft und wird von den Arbeitern und deren Familie eingeatmet. Hauptmanifestationsort der Beschwerden, die das Schwermetall verursacht, ist das ZNS – wo Ataxien, Tremor, Sprach- und Sehstörungen und Intelligenz- und IQ-Minderungen zur Folge haben können.
Nach Vorbereitungen des Projektes in Deutschland ging es im Oktober 2008 also los ins lange, dünne Chile. Das Eingewöhnen fiel mir nicht schwer. Ich fand schnell ein gemütliches Zimmer bei zwei chilenischen Studentinnen, und mein Betreuer gab bei sich zu Hause eine Willkommens-Grillparty für mich. Nach Kontaktaufnahme zu den zwei größten Schulen im Studienort Andacollo stand mein Patientenkollektiv fest – 284 Kinder aus der ersten bis sechsten Klasse. Nach und nach erhob ich meine Daten. Ich definierte das Expositionsrisiko über einen von den Eltern ausgefüllten Fragebogen, bestimmte die Intelligenzwerte der Kinder mittels einem standardisierten Test, untersuchte mit quantifizierbaren Methoden die motorische Entwicklung und – schnitt 284 Kindern die Nägel von Händen und Füßen zur Bestimmung der Quecksilberbelastung im Körper.
Und neben all den lehrreichen medizinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen, lernte ich ein faszinierendes Land und eine wunderbare Kultur kennen. Ich machte Touren ins gletschervereiste Patagonien, zum Beaglekanal am Ende der Welt, in eine der trockensten Wüsten und bestieg rauchende Vulkane.
Seit März 2009 habe ich wieder deutschen Boden unter den Füßen und vermisse meine Mitbewohnerinnen, all die netten Leute die ich in Chile kennen lernen durfte und das Meer, von dem ich nur fünf Gehminuten entfernt wohnte. Andererseits habe ich mich auch wieder sehr auf mein Zuhause München und alles und alle die damit verbunden sind gefreut.
Zurzeit laufen die Analysen der Fingernägel sowie die statistische Auswertung der Testergebnisse. Bis Dezember 2009 soll die Dissertation fertig gestellt werden. Und wenn sie signifikante Daten bringt, können möglicherweise Folgeprojekte untermauert werden und langfristig Interventions- und Präventionsprojekte gegen die Kontamination der Kinder und Bewohner Andacollos ins Leben gerufen werden.
Jeder Zeit würde ich mich wieder für diese Arbeit entscheiden. Nicht zuletzt da ich mir von Anfang an sowohl von Deutscher als auch Chilenischer Seite aus keine bessere Betreuung wünschen hätte können. Und man weiß nie, wenn das mit dem Arztwerden nicht klappt, kann ich immer noch ein Nagelstudio aufmachen!