Per Bohrmaschine hat ein Arzt einem Kind mit Hirnblutung den Schädel aufgebohrt und das Leben gerettet, hieß es vor kurzem in den Medien. Nicht so heroisch, aber weniger grobschlächtig "operierten" Ärzte in Zürich Patienten am Gehirn – und zwar nicht-invasiv mit Ultraschall.
Weltweit zum ersten Mal seien Patienten erfolgreich mit transkraniellem Hochenergie-Ultraschall am Gehirn operiert worden, meldete vor rund zwei Wochen die Universität Zürich. Gelungen seien die nicht-invasiven Hirn-Operationen einem Forschungsteam unter der Leitung von Professor Daniel Jeanmonod von der Abteilung für Funktionelle Neurochirurgie des Universitätsspitals Zürich und Professor Ernst Martin, dem Leiter des Magnetresonanz-Zentrums der Universitäts-Kinderklinik. Das vollständig nicht-invasive Verfahren eröffne neue Horizonte für die Neurochirurgie und die Therapie neurologisch Kranker. Als „revolutionär“, gar als „Paradigmenwechsel in der Geschichte der Neurochirurgie“ bezeichneten die verantwortlichen Wissenschaftler ihre neue experimentelle Operationstechnik gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ).
Invasiv und nicht risikofrei
Insgesamt haben die Zürcher Wissenschaftler am Magnetresonanz-Zentrum der Universitäts-Kinderklinik Zürich zehn Patienten „operiert“. Behandelt wurden die Patienten wegen therapieresistenter unerträglicher Schmerzen, etwa durch ein Neurinom oder aufgrund einer Trigeminusneuralgie. Im Schnitt habe die unmittelbare Schmerzreduktion 60 Prozent betragen, Nebenwirkungen habe es keine gegeben.
Basis der Therapie ist das Konzept der thalamokortikalen Dysrhythmie, wonach die eigentliche Ursache der Schmerzen eine Funktionsstörung des Thalamus ist. Gestört ist hierbei, vereinfacht formuliert, die elektrophysiologische Kommunikation zwischen dem Thalamus und anderen Hirnarealen, etwa der Hirnrinde. Ausgehend von diesem Konzept werden bei dem nicht-invasiven Verfahren Thalamus-Zellen durch die Ultraschallwellen ausgeschaltet. Eine gezielte Zerstörung sehr tief im Gehirn liegender Zellen wird bislang in stereotaktischen Operationen mittels Sonden vorgenommen, die unter kernspintomografischer Kontrolle über ein winziges Bohrloch in das Gehirn geführt werden. Solche stereotaktische Eingriffe gibt es bereits seit mehreren Jahrzehnten. Trotz aller Fortschritte sind sie aber invasiv und daher nicht risikofrei. Möglich sind zum Beispiel Blutungen, Infektionen und auch die Zerstörung gesunden Hirngewebes.
Durchgeführt wurden die Zürcher Eingriffe in einem 3-Tesla-Magnetresonanzsystem, das mit dem Hochenergie-Ultraschall-Forschungssystem „ExAblate® 4000“ des israelischen Kooperationspartners InSightec zu einer Plattform für bildgesteuerte, nicht-invasive Eingriffe aufgerüstet worden war. Im Vergleich zum diagnostischen Ultraschall werden beim therapeutischen sehr viel stärkere Schallwellen verwendet. Angewendet wird der therapeutische Ultraschall bereits in der Gynäkologie, und zwar als Alternative zur Hysterektomie bei infertilen Frauen mit Uterus-Myomen.
Verkochen ist nicht zeitgemäß
Vor dem zerebralen Eingriff wird der Kopf der Patienten für die fünf- bis sechsstündige Operation in einem Stereotaxie-Rahmen fixiert. Für die Applikation der Ultraschall-Wellen bekommen die Patienten einen so genannten „Transducer“, eine Art Helm, über den rasierten Kopf gestülpt. Dieser Transducer sendet Ultraschallbündel ins Gehirn. Erst nach genauer Prüfung, ob etwa die Ultraschall-Energie perfekt fokussiert und dosiert ist, dürfen die Wellen die Schädeldecke durchdringen, um genau das drei bis fünf Millimeter grosse Areal im Thalamus zu treffen, das zerstört werden soll. Während der Behandlung wird die Temperatur allmählich erhöht, von 45 auf maximal 59 Grad Celsius. „Das reicht, um die Zellen, die ja aus Eiweissen bestehen, zu koagulieren“, erklärte Jeanmonod. Die Gefässe würden dabei nicht berührt, ein Blutungsrisiko bestehe kaum, sagte er der NZZ.
Das Verfahren ist aber noch im experimentellen Stadium. Erst müsse bewiesen werden, dass die Methode genauso präzise und wirksam sei wie etwa eine konventionelle neurochirurgische Operation, die sich heute im Bereich unter einem Millimeter durchführen lasse, meint der Neurochirurg Andreas Raabe vom Berner Inselspital. Auch sein Genfer Kollege Karl Schaller meint, man wisse noch zu wenig darüber, was passiere, wenn bestimmte Gewebevolumina im Hirn erhitzt würden. Skeptisch ist auch Professor Andreas Unterberg, Direktor der Abteilung für Neurochirurgie der Universität Heidelberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie. „Hirngewebe in der Tiefe irreversibel zu verkochen, ist nicht mehr zeitgemäß. Mit Elektrostimulation kann man heute ohne Gewebeverlust den gleichen Effekt erreichen,“ sagte er zur „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Jeanmonod und seine Kollegen planen allerdings schon weitere Ultraschall-Operationen, als Nächstes bei Parkinson-Patienten, dann bei Erwachsenen und Kindern mit bestimmten Epilepsieformen. Ihre bisherigen Ergebnisse mit der fokalen Applikation hochenergetischer Ultraschallwellen wollen die Zürcher Wissenschaftler bald veröffentlichen. Sie haben daher ihre Arbeit zur Publikation bei dem US-Amerikanischen Fachblatt „Annals of Neurology“ eingereicht. Die Zürcher sind übrigens nicht die einzigen, die das Verfahren in der Hirnchirurgie erproben. Am „Brigham and Women’s Hospital“ in Boston wenden es Neurochirurgen unter Leitung von Peter Black gegenwärtig bei Patienten mit Glioblastomen und Hirnmetastasen an. Die Ergebnisse der kleinen Studie bei zehn Patienten sollen im August dieses Jahres vorliegen.