Nach Schlecker & Co nun Pick-up-Points für Arzneimittel an der Tanke? Vielen geht das zu weit. "Geschäftemacherei" schimpfen die Offizin-Apotheker. Demnächst Medikamente aus dem Blumenladen oder aus der Reinigung, befüchten die anderen. Der Poker im Apothekenmarkt geht weiter.
Hermann Rohlfs erhielt im Dezember 2008 von der Apothekenkammer Niedersachsen die Erlaubnis, apothekenpflichtige Arzneimittel aus seiner Rats-Apotheke in Uslar zu versenden. Seitdem können rezeptfreie Medikamente bei ihm per Internet und verschreibungspflichtige per Post bestellt werden. Die Auslieferung an die Besteller erfolgt via DHL, Hermes, etc. Daran ist erst einmal nichts Neues. Rund 2.200 Apotheker-Kollegen haben ebenfalls eine offizielle Versandhandels-Erlaubnis. Die Wellen schlugen hoch, als Rohlfs kürzlich seinen Service um die ApoTank-Versandapotheke erweiterte. In Kooperation mit Shell startete er den Pick-up von Medikamenten an vier Tankstellen im Grenzbereich Niedersachsen-Nordrheinwestfalen. Bestellt wird wahlweise per Internet oder direkt an den "ApoTankStellen". Nach Ordereingang in der Versandapotheke wird innerhalb von 48 Stunden an die Pick-up-Tanke geliefert und zwar versandkostenfrei. Für Apotheker Rohlfs und Shell ist es ein Pilotprojekt. Sollte das Angebot angenommen werden, ist eine Ausweitung auf alle Shell-Tankstellen in Deutschland vorgesehen. Und weshalb sollte ApoTank erfolgreich sein? Die Tankstellen seien gut erreichbar per Auto, so der Versandhändler. Von besonderem Vorteil seien die Öffnungszeiten, teilweise rund um die Uhr inklusive der Wochenenden. Für Berufstätige mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder mit viel Reisetätigkeit sei das komfortabler als die Abholung in Drogeriemärkten oder Postfilialen.
Funktionäre befürchten Aushöhlung des Verbraucherschutzes
Die kürzliche Meldung vom Pick-up an der Tanke erhitzt erneut die Gemüter. Im Frühjahr 2008 hatte das Bundesverwaltungsgericht Pick-up-Stellen im so genannten "dm-Urteil" für rechtens erklärt. Das gefiel weder Politikern, egal welcher Couleur, noch den Spitzenorganisationen ABDA (Bundesvereinigung der Apothekerverbände), BVDVA (Bundesverband Deutscher Versandapotheken) oder der Apothekengewerkschaft ADEXA. Sie forderten ein generelles Verbot bzw. eine Beschränkung der Abholservices. Ungeachtet dessen setzte sich die Arzneimittelabgabe in Drogeriemärkten weiter fort. Schlecker, Rossmann & Co folgten dm. Die Gegner fühlen sich nun mit ApoTank in ihren schlimmsten Vorahnungen bestätigt. "Nach dem Pick-up-Urteil war zu befürchten, dass es künftig auch Arzneimittel an Tankstellen und Würstchenbuden geben würde. Wenn diese Befürchtung nun Realität wird, wird das hierzulande bewährte System des Verbraucherschutzes immer stärker ausgehöhlt. Ein gesetzliches Verbot von Pick-up-Stellen steht deshalb weiterhin auf der gesundheits- und verbraucherschutzpolitischen Tagesordnung", erklärt Christian Splett, Referent Wirtschaftspresse der ABDA. Der BVDVA fordert zwar kein generelles Verbot, aber er wehrt sich gegen Pick-up-Stellen in Tankstellen, Blumenläden oder Textilreinigungen. Der Vorstand befürwortet eine Beschränkung solcher Pick-ups aus Gründen der Arzneimittelsicherheit, zur Vorbeugung des Arzneimittelmissbrauchs sowie zur Sicherstellung einer sachgemäßen Behandlung und Lagerung von Medikamenten.
Markt setzt auf Instrument der Kundenbindung
Was veranlasst den Ölmulti Shell oder die Drogeriemärkte, in das Geschäft mit Pick-up-Points (PuP) für Arzneimittel einzusteigen? Kann man damit Geld verdienen? Vor allem vor dem Hintergrund, dass im Apothekenversandhandel noch viel Musik drin ist? Eine Umfrage unter BVDVA-Mitgliedern ergab Wachstums-Prognosen für die nächsten Jahre zwischen 10 und 50 Prozent. Die extreme Spannbreite ist Ausdruck der unsicheren Rechtslage. Stichwort Fremd- und Mehrbesitzverbot, Aufhebung der Preisbindung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln oder im Extremfall Verbot verschreibungspflichtiger Medikamente. Auch wenn sich im letzten Fall der Bundestag gerade gegen ein Verbot aussprach, muss das ja nicht für alle Ewigkeit gelten. Bei aller Unsicherheit kann man trotzdem davon ausgehen, dass der Arzneikauf per Internet in vergleichbarem Maße zunehmen wird wie die Gesamtheit aller Warenkäufe im Web. Und dann könnte auch mehr Profit für PuPs drin sein. Wobei gar nicht der Profit in Form von Gewinnbeteiligungen oder Prämien von vorrangigem Interesse ist. Reizvoller ist die Pick-up-Stelle als Instrument der Kundenbindung. Denn wer fährt schon zu Shell, um Paracetamol abzuholen, und tankt danach bei Aral? Der Test an den vier Shell-Tankstellen startete vor vier Wochen. Bisher renne man ihnen noch nicht die Bude ein, so ist aus der Shell-Zentrale zu hören. Man müsse noch am Bekanntheitsgrad arbeiten.
Poker mit schlechten Karten?
Shell hat den Pick-up-Service juristisch prüfen lassen und geht davon aus, dass das Konzept von ApoTank nach geltendem Recht unanfechtbar ist. Sicher? Die Bundestagsfraktionen würden Pick-up lieber heute als morgen kippen, wenn sie eine eindeutige rechtliche Handhabe hätten. Deshalb warten alle auf eine juristische Bewertung aus Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Bundesjustizministerium (BMJ). Und parallel dazu wächst der Druck seitens ABDA, die den Verbraucherschutz gefährdet sieht und Missbrauch verhindern will. Wieviel Umsatz heute mit Pick-up-Stellen generiert wird ist unklar. Denn die Drogeriemärkte arbeiten überwiegend mit ausländischen Versandapotheken zusammen. Der geschätzte Marktanteil der "normalen" Versandapotheken liegt laut BVDVA bei etwa 10 Prozent, was einem Umsatz-Volumen von rund vier Milliarden Euro entsprechen würde. Dabei entfallen ca. 8 Prozent auf rezeptfreie Arzneimittel und lediglich 2 Prozent auf Rx-, das heißt verschreibungspflichtige, Präparate. Laut Schätzung des BVDVA betreiben bisher allerdings nur 2 Prozent der Apotheken mit Versandhandels-Zulassung das Geschäft mit einem nennenswerten Marktanteil. Um entsprechende Volumen zu generieren, muss eine Apotheke erst einmal richtig in die Tasche greifen. Die logistischen Investitionen bewegen sich in Millionen-Höhe. Wer dabei auf PuPs setzt, hat vielleicht die falsche Karte gezogen. Die Entwicklung des Apothekenmarkts bleibt weiter spannend.