Die Klischees sind bekannt: Hochgebildete Chefärzte kümmern sich vorbildlich um das Wohl der Patienten, während Assistenzärzte eine Operation nicht von einer Obduktion unterscheiden können. Campus sprach mit 2 Assistenzärzten über ihre Erfahrungen.
Auch die TV-Werbung eines bundesweit bekannten Krankenversicherers bediente sich unlängst dieser unmöglichen Klischees. Sinngetreu wird der Patient im Werbespot süffisant gefragt: „Assistent oder doch lieber zum Chefarzt?“ Parallel zur Frage werden Bilder eingeblendet, welche den völlig hilflosen und heillos überforderten Assi zeigen - Gott sei Dank schnell vom souveränen und völlige Ruhe ausstrahlenden Chefarzt beiseite geschoben, um sich „richtig“ um den Patienten kümmern zu können. Wer da noch nicht überzeugt ist, dem ist wohl gar nicht mehr zu helfen...! Oder...?
Wir haben mit zwei jungen Ärzten gesprochen, die sich derzeit in ihrer Assistenzarzt-Zeit befinden. Auf Wunsch der beiden Gesprächspartner haben wir ihre Namen geändert.*
Campus: „Halbgötter in Weiß“ – wann und in welcher Form haben Sie dieses Phänomen bezüglich Ihrer Vorgesetzten im Krankenhaus schon einmal selbst zu spüren bekommen?
Dr. Braun: Ich selbst hatte bereits an meinem ersten richtigen Arbeitstag in der Klinik eine heftige Kollision diesbezüglich. Ich habe meinen Dienst abends in den Wintermonaten angetreten. Draußen war es also schon ziemlich dunkel. Ich stellte mich mit meinem Wagen nahe des Hauptportals der Klinik auf einen freien Platz, der sich auf dem Areal der Angestellten-Parkplätze befand. Gerade als ich mich umziehen wollte flog die Tür meines Stationszimmers auf, und herein kam eine Frau von der Rezeption. Ich kann es nicht mehr wortwörtlich wiedergeben, ob Sie sagte „Sind Sie denn verrückt?!“, aber etwas in dieser Art wird es gewesen sein. Zwischen weiteren Beschimpfungen hörte ich heraus, dass ich mich anscheinend auf den Parkplatz des Chefarztes gestellt hatte. Aufgrund der Dunkelheit musste ich das (winzigste!) Schildchen übersehen haben, das diesen Besitzstand anzeigte. Zudem war dies mein erster richtiger Tag auf Station und ich „kopfmäßig“ dementsprechend mit anderen Dingen beschäftigt. Später stellte sich heraus, dass der Chefarzt an diesem Abend gar keinen Dienst hatte – die Aktion war also mehr oder weniger völlig unnötig. Mir hat sie aber sofort gezeigt, was für ein Wind durch die Station bläst. Leider hat sich das später auch mehrfach bestätigt.
Campus: Inwiefern?
Dr. Braun: Die Station, auf der ich meinen Dienst angetreten hatte, war vom Chefarzt (einem knapp Sechzigjährigen, 1 Meter 65 kleinen Mann) auf Gehorsam eingeschworen worden. Die Sache mit dem Parkplatz war nur die absurde Spitze des Eisberges – viel schlimmer war es, dass wir (drei männliche und zwei weibliche Assistenten) in regelmäßigen Abständen vorgeführt wurden. Dies nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern auch in Gegenwart von Patienten und deren Angehörigen. Solche Demütigungen konnten sich während einer Visite ereignen, im OP oder bei einer Dienstbesprechung im Schwesternzimmer. Im Laufe der Zeit wurde dadurch ein enormer Druck aufgebaut, der sich immer öfter auch in Missgunst und Misstrauen unter uns Assistenten äußerste. Nach drei Monaten wollte ich das nicht mehr hinnehmen und habe – nach einem Gespräch mit meinem Chefarzt – den Dienst in dieser Klinik schweren Herzens beendet.
Campus: Nach einem Gespräch mit dem Chefarzt? Was wurde hier besprochen?
Dr. Braun: Ich habe die Probleme direkt angesprochen und ohne großes Drumherumreden meinen Standpunkt vertreten, dass die derzeitige Situation nicht länger tragfähig und erträglich ist. Leider war mein Chef einer völlig anderen Meinung und hat mich quasi in seiner jovialen Art mehr oder weniger hinauskomplimentiert. Selbst unter dem Schutz dieses anonymen Interviews möchte ich nicht mehr den Wortlaut des damaligen Gespräches wiedergeben. Ich kann nur sagen, dass ich wirklich erstaunt und gelinde ausgedrückt schwer enttäuscht war.
H. Schwarz: Diese Schilderungen sind wirklich sehr drastisch. Ich hatte aber auch Kollegen, denen es ähnlich ergangen ist. In diesen Fällen wundere ich mich immer, dass es zu solchen Vorfällen doch eigentlich gar nicht kommen sollte, da der medizinische Beruf doch so anspruchsvoll und auf gegenseitige Hilfe und Respekt angewiesen ist. Zudem frage ich mich, wie die betreffenden Chefärzte ihre eigene Assistentenzeit erlebt haben, um später derart über das Ziel hinauszuschießen.
Campus: Herr Schwarz, Sie sind heute unser Gegenbeispiel, wie es besser funktionieren kann. Bitte berichten Sie uns doch kurz von Ihren ersten Erlebnissen.
H. Schwarz: Richtig. Ich kann zum Glück keine solchen Horrorgeschichten zum Besten geben, obwohl ich (wie bereits erwähnt) auch schon diverse Berichte diesbezüglich hören musste. Ich arbeite seit etwas über einem Jahr als Assistenzarzt in einer großen psychiatrischen Klinik in Rheinland-Pfalz, und gerade in der letzten Woche hat mir mein Chefarzt witzigerweise das „Du“ angeboten. Ich bin vom ersten Augenblick an sehr gut mit meinem Vorgesetzen ausgekommen, muss aber natürlich dazusagen, dass dieser mir den Einstieg auch sehr leicht und positiv gestaltet hat.
Campus: Könnten Sie uns hierfür ein Beispiel nennen?
H. Schwarz: Natürlich. Ich wurde sehr herzlich empfangen und als echter „Kollege“ dem Team und den Patienten vorgestellt. Mein Chefarzt hört sich meine Meinungen und Einschätzungen an – und selbst wenn ich mal völlig daneben liegen sollte, wird dies in einem Vier-Augen-Gespräch und mit dem nötigen Respekt erörtert und korrigiert. Ich weiß zwar nicht, was passieren würde, falls ich mich auf den reservierten Parkplatz stellen sollte (lacht!), aber das hätte bestimmt auch nicht solch weitreichende Folgen.
Campus: Herr Dr. Braun, wo würden Sie Möglichkeiten zur Verbesserung oder Renovierung des Miteinander in den Kliniken sehen?
Dr. Braun: Der Berufsalltag der Assistenten und Oberärzte ist dadurch geprägt, dass sie den Laden schmeißen. Das bedeutet, dass diese beiden Gruppen den koordinierten Ablauf in den ihnen unterstellten Bereichen garantieren, während vielleicht nebenan der Chefarzt gerade einen Privatpatienten operiert. Da die Assistenten und Oberärzte die Defizite und Missstände hautnaher und persönlicher erleben, stammen auch die Beurteilungen über diese Situationen von ihnen. Diese müssen dann dem „Chef“ äußerst diplomatisch vorgetragen werden, da dieser ja nur selten davon betroffen ist. Hier steckt oftmals ein großes Potenzial für Spannungen. Des weitern müsste der öffentliche Druck auf Chefärzte erhöht werden. So habe ich zum Beispiel schon etliche Male erlebt, dass Chefärzte Überstunden ihrer Assistenten aus den Dokumentationen streichen, weil sie Angst vor dem Krankenhausmanagement haben. Gehen Sie mal in dieser Situation als Neuling zu Ihrem Chef und setzen sich argumentativ zur Wehr. Ich habe unter anderem zu hören bekommen: „Ihre Kollegen reichen ja auch keine Überstunden ein. Überprüfen Sie doch erst mal Ihr Arbeitstempo und versuchen danach, Ihre Aufgaben in der normalen Dienstzeit zu bewältigen!“ Was soll man denn da noch sagen? Junge Ärzte benötigen ein völlig neues Selbstverständnis in ihrer Rolle als Arbeitnehmer und gegenüber der „Obrigkeit“. Ein ehemaliger Kommilitone hat vor einiger Zeit - in höflichster Art und Weise – seinen Chefarzt auf einen Behandlungsfehler aufmerksam gemacht. Diese „Majestätsbeleidigung“ führte dazu, dass sein Name einige Wochen lang nicht mehr auf dem Operationsplan zu finden war. Dies hätte fast dazu geführt, dass er nicht auf die prüfungsnotwendigen OP-Zahlen gekommen wäre. Hier bedarf es dringend einer Kontrolle und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen.
H. Schwarz: Ein großes Problem, das ich mittelfristig sehe, ist auch, dass sich immer weniger Assistenten den rüden Umgang auf Dauer gefallen lassen werden. Zur Zeit, als mein Vater Assistenzarzt war, hat man die schlechte Bezahlung und den rauen Ton ertragen, da man ja hoffen konnte, selbst einmal „Chef“ zu werden. Die Aussichten auf solch lukrative Posten werden heute jedoch immer geringer, weshalb viele junge Mediziner auswandern oder arztfremde Berufe (z.B. in der Verwaltung) anstreben. Dies geht jedoch auf Kosten des Gesundheitssystems und hierdurch nicht zuletzt auf Kosten der Patienten.
* Namen der Redaktion bekannt