Die Rentengarantie von Olaf Scholz war der politische Sündenfall in Sachen Generationengerechtigkeit. Nun soll es die in vitro-Fertilisation richten. Käme der Staat für Retortenbabies auf, würde sich die Zahl der Beitragszahler um 7000 pro Jahr erhöhen. Behauptet eine Studie.
Seit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz aus dem Jahr 2004 ist die in vitro-Fertilisation immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen. Damals wollte die Politik die Krankenkassen von so genannten versicherungsfremden Leistungen entlasten, von jenen Leistungen also, die nicht unmittelbar etwas mit der Krankenversorgung zu tun haben.
Reagenzglas-Gynäkologie ist teuer geworden
Dass das nur halbherzig geschah, ist kein Geheimnis. Tatsache ist allerdings, dass die künstliche Befruchtung dank GKV-WSG tatsächlich aus dem Leistungskatalog der GKV heraus geflogen ist. Vor 2004 wurden die ersten vier Zyklen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung anstandslos erstattet. Erst den fünften mussten gesetzlich krankenversicherte Paare selbst bezahlen. Seit 2004 ist das künstliche Kinderkriegen deutlich teurer geworden: Paare zahlen heute die Hälfte der Kosten für die ersten drei Zyklen selbst. Ab Zyklus vier gibt es sogar gar keine Erstattung mehr. In Euro und Cent: Wenn die von Reproduktionsmedizinern im Allgemeinen als sinnvoll angesehenen fünf Zyklen zugrunde gelegt werden, kostete die IVF vor 2004 genau 3600 Euro. Heute sind bei Preisen von 3200 Euro für die ersten drei Zyklen und 3600 Euro für jeden Folgezyklus satte 12.000 Euro fällig. Und wer für nur drei Zyklen rechnet, kommt auf 4800 Euro, verglichen mit null Euro vor sechs Jahren. Dass sich das auf die Inanspruchnahme der IVF in Deutschland ausgewirkt hat, ist einigermaßen nachvollziehbar. Nach Angaben von Professor Bertram Häussler vom Berliner IGES-Institut stürzten die IVF-Zahlen im Jahr 2004 von vorher 18591 auf unter 10000 geradezu ins Bodenlose. Seither ist ein geringer Anstieg zu beobachten, der den GKV-WSG-Knick aber noch nicht annähernd kompensiert hat. Dass – ganz abgesehen von den unzähligen betroffenen Paaren – auch Reproduktionsmediziner diese Entwicklung bedauern, wundert nicht.
Häussler: „Sehr kosteneffizient“
Ein weiterer Akteur, der mit dem Status quo nicht so ganz zufrieden sein kann, ist das Unternehmen Merck Serono, das in diesem Bereich stark engagiert ist. Es ist dann auch der Auftraggeber einer jetzt vom IGES-Institut vorgelegten Studie zum Thema. Die Frage war, was passieren würde, wenn die IVF künftig durch einen Steuerzuschuss zum aktuellen Selbstbehalt finanziell weniger belastend wäre als bisher. Die hypothetische Annahme war ein 50prozentiger Steuerzuschuss zum Selbstbehalt, der die Eigenbeteiligung demnach auf 2400 Euro bei drei Zyklen beziehungsweise auf 6000 Euro bei fünf Zyklen reduzieren würde. Wie sich das auswirkt, hängt naturgemäß davon ab, wie sehr sich die Inanspruchnahme durch diesen Zuschuss steigern lässt. „Wir haben drei Szenarien durchgespielt“, erläuterte IGES-Geschäftsführer Häussler in Berlin. Im von ihm konservativ genannten Szenario würde die Zahl der IVF wieder auf das Niveau von 2003 ansteigen. Wenn die aktuellen IVF-Erfolgsquoten zugrunde gelegt werden, bedeutet das ein Plus von 4309 Kindern. Ein laut Häussler realistisches Szenario mit stärkerer Inanspruchnahme ergäbe 7871 Kinder. Pro Jahr wohlgemerkt. Wenn die alle arbeiten würden, wären das im Jahr 2050 Beiträge für rund 15000 Rentner. „Den Steuerzahler würde das im realistischen Szenario mit 7132 Euro pro Kind belasten“, erläuterte Häussler, „das halte ich schon für ziemlich kosteneffizient.“
Scheinheilige Krankenkassen
Ein paar Fragezeichen bleiben. Da ist zum einen die Frage, ob die Annahmen zur Inanspruchnahme tatsächlich realistisch sind. Denn bei einem 50prozentigen Rabatt kosten die ersten drei IVF-Zyklen immer noch 2400 Euro mehr als im Jahr 2003. Das ist nicht nichts, sodass zumal in Krisenzeiten selbst die konservative IGES-Annahme noch zu optimistisch sein könnte. Wird – was natürlich denkbar wäre – ein hundertprozentiger Zuschuss gewährt, steigen dagegen die Kosten für den Bundeshaushalt deutlich. Beim 50-Prozent-Modell sind das in toto laut IGES rund 50 Millionen Euro pro Jahr.
Ein wenig bizarr ist auch die Haltung der Krankenkassen, die bei der Vorstellung der IGES-Studie – hier ein Video dazu – in Berlin in Gestalt von KKH-Allianz-Vorstand Rudolf Hauke zugegen waren. Hauke brachte sogar eine Vollfinanzierung von fünf Zyklen ins Gespräch. Dazu könne problemlos der Gesundheitsfonds aufgestockt werden. Dass die Kassenseite plötzlich so freigiebig ist, hat seinen Grund. „Aufstocken des Gesundheitsfonds“ heißt im Klartext Steuergelder, auch wenn Gesundheitsfonds irgendwie unauffälliger klingt. Die Krankenkassen haben sich 2003 jedenfalls nicht übermäßig lautstark gegen die Herausnahme der IVF gewehrt. Und sie haben ihren Versicherten außerhalb des Leistungskatalogs lieber allen möglichen Blödsinn erstattet, als die IVF von sich aus wieder zu finanzieren. Jetzt mit dem Finger Richtung Politik zu zeigen, ist da zumindest etwas scheinheilig.