Es klingt nach Mary Shelley, ist aber der neuste Schrei der regenerativen Medizin: Herzen Verstorbener oder von Schweinen lassen sich mit Spezial-Detergenzien entkernen, übrig bleibt das DNA-freie Proteingerüst. Dieses wiederum konnten britische Forscher an anderer Stelle zum Leben erwecken - indem sie adulte Stammzellen einpflanzten und es wiederbesiedelten.
Doris Taylor ist stolz auf ihre Rattenherzen. Jedes einzelne schlägt so wie es sollte – obwohl es sich um künstliche Organe handelt. Oder auch nicht. Tatsächlich ist das, wovon die Stammzellforscherin an der University of Minnesota unlängst im New Scientist berichtete, Teil einer neuen Ära der regenerativen Medizin. Totes Organmaterial dient als Gerüst-Grundlage für jenen Besiedlungsprozess, von dem Biomediziner nur träumen konnten: Adulte Stammzellen nehmen die Form der Originalvorlagen an – ob Herz, Leber oder Niere, nahezu alles ließe sich nach dem neuartigen Verfahren im Labor herstellen. Und im Vergleich zu konventionellen Transplantaten fielen bei diesen als Hybride bezeichneten Pendants keinerlei Abstoßungsreaktionen an. Selbst die über Jahre hinweg als Hoffnungsträger gehandelte Xenotransplantation rückte im Vergleich zu den Hybriden in die Bedeutungslosigkeit zurück – wer wollte noch ein Herz vom Schwein, wenn eigene Stammzellen das Ersatzorgan aufbauen?
Für Außenstehende freilich weckt die Methode ein klein bisschen Erinnerungen an Literaturklassikern wie Mary Shelleys bereits 1818 veröffentlichten Roman über den fiktiven Schweizer Viktor Frankenstein. Anthony Hollander von der britischen University of Bristol etwa gelang es, der Patientin Claudia Castillo eine Hybrid-Luftröhre zu transplantieren. Als Baugerüst diente das mit milden Detergenzien behandelte Organ einer Leiche, Castillos adulte Stammzellen besiedelten die leblose Materie und verwandelten diese in einen funktionstüchtigen Hybriden. Der Eingriff erfolgte 2008 – heute benötigt die einzigartige Patientin weder Immunsupressiva, noch andere Medikamente.
Eine Luftröhre zu erstellen ist die eine Sache, das Herz eines Menschen als Hybrid zu modellieren, eine andere. Denn komplexe Organe, erklärt Doris Taylor, seien auf die perfekte Blutversorgung angewiesen. Das beste tote Baugerüst nütze wenig, wenn die Blutgefäße nicht funktionsfähig rekonstruiert würden. Zudem scheint eine mangelnde Blutversorgung die eingesetzten adulten Stammzellen aus den Takt zu bringen: Sie differerenzieren nicht ausreichend, am Ende käme – Frankensteins Geschichte gleich – eine ganz und gar unvollkommene Organkreatur zustande.
Erstaunlicherweise lässt sich Taylor zufolge dieses Risiko durch einen Trick minimieren. Im Tierversuch schaffte es die Forscherin, in die toten und DNA-freien Baugerüste zunächst fremdes Blut durch die bestehenden Gefäße zu pumpen. Der dadurch einsetzende Gefäßdruck führte zu einem bis dato unerklärlichen Phänomen – er regte die daraufhin eingebrachten Stammzellen zur korrekten Differenzierung an. Offensichtlich spielen jedoch auch bestimmte Wachstumsfaktoren und Peptide, die trotz Waschgang am toten Organ haften bleiben, eine entscheidende Rolle: Sie liefern die für die adulten Stammzellen wichtigen Informationen, auf welche Art und Weise sie an welcher Stelle im Hybrid differenzieren müssen.
Hartnäckige Peptide als Risiko bleiben bestehen
Dieser Effekt birgt jedoch auch Risiken, wie David Cooper an der University of Pittsburgh School of Medicine attestiert. So bleibe bei Schweineherzen selbst nach dem Detergenzien-Waschgang das Enzym alpha-Galaktosidase (alpha-GAL) an der Oberfläche des Baugerüsts haften – in diesem Falle wären nach der Besiedlung durch Stammzellen des Patienten heftige Abstoßungsreaktionen programmiert.
Trotz aller Euphorie für die Hybride scheint demnach Vorsicht angebracht. Ohnehin gehören Rückschläge zum Alltag der regenerativen Medizin. So berichtete eine israelische Forschergruppe im Februar dieses Jahres erstmals über die Entwicklung von Hirntumoren aus transplantierten neuralen Stammzellen. "Diese Beobachtung ist ohne Zweifel ein Rückschlag für die Entwicklung zellbasierter Therapien mit neuralen Stammzellen zur Korrektur definierter genetischer Defekte", beurteilte Michael Weller von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) den Bericht des Fachblatts PLoS Medicine. Allerdings sei die Forderung nach einem generellen Verzicht auf zellbasierte Therapien aufgrund dieses Rückschlags nicht gerechtfertigt, so der Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Zürich weiter. Bislang war der Stammzellen-Einsatz mit Hoffnungen auch bei der Therapie von Schlaganfall, Parkinson oder Multiple Sklerose verbunden. Im vorliegenden Fall war ein damals 9-jähriger Junge mit Ataxia telangiectasia seit Mai 2001 in Moskau mehrmals mit neuralen Stammzellen behandelten worden.
Doch anders als im obigen Fall hoffen regenerative Hybridbauer auf einen ganz anderen Effekt ihrer Waschgang-Besiedlungstechnik, wie Taylor erklärt: „Die Natur selbst übernimmt den wesentlichen Teil der Arbeit“.