Frauen leiden häufig an rezidivierenden Harnwegsinfekten. Bisher ist eine Behandlung mit Antibiotika Standard. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse zu der Frage, warum die Infektion oft wiederkehrt. Schuld ist ein wenig beachtetes Bakterium: Gardnerella vaginalis.
„Harnwegsinfektionen gehören weltweit zu den häufigsten ambulant behandelten Infektionskrankheiten der Frau“, so Professor André Gessner, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene am Uniklinikum Regensburg. Er schätzt, fast zehn Prozent aller ambulant verordneten Antibiotika würden aufgrund entsprechender Symptome verschrieben. Ob das in dem Ausmaß wirklich notwendig ist, untersuchte Dr. Ildikó Gágyor von der Universitätsmedizin Göttingen.
Dabei konzentrierte sie sich auf die Notwendigkeit einer Antibiotikatherapie bei unkomplizierten Infekten. An ihrer Studie nahmen 42 Hausarztpraxen aus Norddeutschland teil. Ärzte rekrutierten 494 Frauen ohne Vorerkrankung, aber mit den typischen Beschwerden einer Harnwegsinfektion. Dazu gehören Harndrang oder Brennen beim Wasserlassen. Die Teilnehmerinnen erhielten randomisiert entweder sofort das Antibiotikum Fosfomycin oder nur das Nichtsteriodale Antirheumatikum (NSA) Ibuprofen – verbunden mit dem Hinweis, sich erneut vorzustellen, sollten ihre Beschwerden schlimmer werden. Rund zwei Drittel aller Patientinnen wurden ohne Antibiotika und nur mit Schmerzmitteln gesund. Nierenbeckenentzündungen waren unter Ibuprofen etwas häufiger. Allerdings erwies sich der Unterschied nicht als statistisch signifikant. „Wir können belegen: Für sonst gesunde Frauen mit leichten bis mittelschweren Symptomen ist die symptomatische Behandlung häufig ausreichend und das Risiko von Komplikationen gering“, resümiert Co-Autorin Dr. Jutta Bleidorn von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie fordert, Leitlinien entsprechend der Erkenntnisse anzupassen. Neben diesen vielversprechenden Resultaten bestehen weiterhin Unklarheiten. Viele Patientinnen erleiden innerhalb von sechs Monaten ein Rezidiv. Gessner: „Unklar ist aber bislang, welche Mechanismen oder Faktoren die auch nach Sexualkontakten gehäuft auftretenden Blasenentzündungen begünstigen.“
Forscher wussten bisher nur, dass Escherichia coli hinter den Beschwerden steckt. Intrazelluläre Reservoirs in der Harnblasenwand könnten erklären, warum es häufig zu Rezidiven kommt. Keime entziehen sich dem Immunsystem, aber auch der Pharmakotherapie mit Antibiotika. Molekularbiologin Amanda L. Lewis zeigt in einer anderen aktuellen Studie, dass hierbei ein wenig beachtetes Bakterium die zentrale Rolle spielt, nämlich Gardnerella vaginalis. Der Keim verursacht zwar per se keine Symptome. Im Tierexperiment weist Lewis aber nach, dass Gardnerella vaginalis speziell Escherichia coli den Weg ebnen kann. Sie spricht von einem „neuen Modell für die Entstehung von Infektionen“, das für andere Organe ebenfalls von Bedeutung sein könnte. Gardnerella vaginalis gelangt wahrscheinlich beim Geschlechtsverkehr in den Körper, spekuliert Lewis. Wie schätzen andere Experten die Studie ein? Vaginale Epithelzellen, die von Gardnerella vaginalis besidelt wurden, ca. 400-fach vergrößert © Wikipedia
André Gessner: „Die Arbeitsgruppe von Amanda Lewis [...] hat in sehr aufwändigen Mausexperimenten untersucht, welchen Einfluss Vaginalbakterien auf die Infektionsentstehung und deren Verlauf nehmen.“ Gardnerella vaginalis lässt sich bei vielen gesunde Frauen vaginal nachweisen. In der Harnblase kommt es zu Entzündungsprozessen und Epithelschädigungen: der Startschuss für Blasenentzündung durch Escherichia coli. „Im Unterschied dazu sind andere Vaginalbakterien – in dieser Untersuchung Lactobacillus crispatus – nicht schädigend, eventuell sogar schützend“, ergänzt Gessner. Er resümiert, dass „neue Therapieansätze, die auf die ‚Wegbereiter-Effekte‘ bestimmter Vaginalbakterien zielen, zur Verhinderung oder Behandlung rezidivierender Harnwegsinfekte gut vorstellbar“ seien.
Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Professor Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Uniklinik Köln: „Das Bakterium Gardnerella vaginalis ist als ein Verursacher der Scheidenentzündung, der Vaginosis, bekannt. Die Studie von Gilbert et al. legt nahe, dass dieser Erreger auch verantwortlich sein kann für rezidivierende Blasenentzündungen – eine viele Frauen betreffende Erkrankung, gegen die es bisher keine wirksame Prophylaxe gibt.“ Für ihn ist besonders relevant, dass es sich hier um ein neues Modell für die Entstehung von Infektionen handeln könnte, das – wie Lewis schreibt – auch für andere Organe Relevanz hat. Sollten sich entsprechende Zusammenhänge auch beim Menschen bestätigen, stünden neue Wege zur Infektionsprophylaxe bei Blasenentzündungen offen: „Diese Erkrankung könnte dann durch Beeinflussung der vaginalen Bakterienflora, zum Beispiel durch spezielle Antibiotika, verhindert werden“, hofft Fätkenheuer.