Hoffnung für Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie: Marburger Onkologen konnten nachweisen, dass bei dieser Form von Blutkrebs auch das bereits bei Leber- und Nierenkrebs zugelassene Medikament Sorafenib hilft.
Krebszellen zielgenau zu bekämpfen, ist der Wunsch fast aller Mediziner. Bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) gelingt das schon seit einigen Jahren. Mit Hilfe des spezifisch wirkenden Medikament Imatinib verbesserten sich die Überlebenschancen von CML-Patienten dramatisch. Für Patienten, die an der akuten Form der myeloischen Leukämie (AML) leiden, gab es bislang keine solche Behandlungsmöglichkeit. Ergebnisse eines Forscherteams der Universität Marburg legen nun nahe, dass auch ein Teil der AML-Patienten von einem ähnlich zielgerichteten Medikament profitieren könnte.
Bei der AML vermehren sich wie bei der CML unkontrolliert Vorläuferzellen der Granulozyten und Monozyten; unbehandelt schreitet die Krankheit jedoch rasch voran und führt innerhalb weniger Wochen zum Tod. Etwas weniger als die Hälfte der AML-Patienten können durch eine Chemotherapie oder durch eine Stammzelltransplantation geheilt werden. Vor allem die Betroffenen, bei denen zusätzlich das FLT3-Gen in den Vorläuferzellen mutiert ist, erleiden sehr häufig Rückfälle. Wie die Gruppe um Andreas Burchert in der Fachzeitschrift Blood berichtet, sprechen diese Patienten jedoch stark auf eine Monotherapie mit dem Medikament Sorafenib an. „Innerhalb von einem Tag hatte sich die Anzahl der leukämischen Zellen halbiert und nach drei bis sieben Tagen waren sie im Blut der Patienten komplett verschwunden“, sagt Burchert.
Permanentes Signal bewirkt unkontrollierte Vermehrung der Zellen
Insgesamt sechs AML-Patienten mit einer Mutation des FLT3-Gens behandelte der Onkologe mit dem Wirkstoff alleine. Alle Patienten hatten zuvor einen Rückfall erlitten; drei nach der primären Chemotherapie, die anderen nach einer Stammzelltransplantation. FLT3 trägt die Bauanleitung für ein Protein, das auf der Oberfläche von Blutstammzellen sitzt und deren Vermehrung reguliert. Normalerweise empfängt diese so genannte Rezeptor-Tyrosinkinase von außerhalb Signale, die sie ins Innere der Zellen weiterleitet und diese veranlassen, sich zu teilen. „Wenn die mutierte Form des Rezeptors vorliegt, geschieht das auch ohne Signale von außen“, erklärt Burchert. „Das Protein ist sozusagen dauerhaft angeschaltet und sorgt dafür, dass sich die Zellen ständig vermehren.“
Sorafenib unterbricht die permanente Signalweiterleitung, indem es sich an den Rezeptor anlagert und ihn so blockiert. Der Wirkstoff (Handelsname: Nexavar) gehört zur Klasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren und wird bereits zur Therapie von Leber- und Nierenkrebs eingesetzt. Seine Nebenwirkungen hielten sich bei den AML-Patienten in Grenzen: Hautrötungen, Schmerzen in Händen und Füßen sowie Durchfall konnten die Marburger Mediziner während der Behandlung beobachten.
Nach dem schnellen Verschwinden der leukämischen Blutzellen verlief das weitere Schicksal der Patienten sehr unterschiedlich: Bei zwei Patienten tauchten die Krebszellen trotz Sorafenib-Therapie wieder auf, der eine erlag nach 216 Tagen nach Beginn der Behandlung der Krankheit, dem anderen konnte mit einer Stammzelltransplantation geholfen werden. Bei den vier übrigen Patienten zeigte sich keine Resistenz gegen das Medikament. Zwei dieser Patienten verstarben jedoch nach 58 und 221 Tagen an Erkrankungen, die wahrscheinlich nicht durch die AML bedingt waren.
Sorafenib zeigt überraschenden Effekt
Besonders beeindruckend sei jedoch, so der Onkologe, dass die zwei anderen nach einer Knochenmarktransplantation rückfällig gewordenen AML-Patienten auch acht Monate nach Beginn der Therapie mit Sorafenib immer noch keine Zeichen eines erneuten Rückfalls zeigen. Den ungewöhnlich positiven Verlauf erklärt Burchert so: „Wahrscheinlich hat der Tyrosinkinase-Inhibitor noch einen zweiten Effekt: Er könnte dafür sorgen, dass Immunzellen des transplantierten Knochenmarks im Rahmen einer so genannten Spender-gegen-Leukämie-Reaktion noch verbliebene Leukämiezellen zusätzlich bekämpfen.“
Da er dies nun weiter belegen möchte, plant er eine klinische Studie mit einer größeren Anzahl an Patienten. Im Rahmen dieser placebokontrollierten Studie soll AML-Patienten mit einem mutierten FLT3-Gen nach einer Knochenmarktransplantation prophylaktisch Sorafenib verabreicht werden, um so Rückfälle von vornherein zu verhindern. Burchert hofft, dass die Studie Ende dieses Jahres beginnen könnte.
Andere Experten wie Prof. Hubert Serve, Direktor der Medizinischen Klinik II der Universität Frankfurt befürworten ebenfalls eine solche Studie, sind aber noch skeptisch, ob AML-Patienten durch den Einsatz von Sorafenib als Monotherapeutikum tatsächlich geheilt werden: „Bisher hat noch keine einzeln eingesetzte Substanz bei AML-Patienten einen Rückfall dauerhaft verhindert“, sagt Serve. „AML ist im Gegensatz zur CML keine monogenetische Erkrankung.“ Neben der FLT3-Mutation seien eine Reihe weiterer chromosomaler und genetischer Veränderungen bekannt, die in Kombination auftreten müssten, damit eine AML tatsächlich ausgelöst wird.
Sorafenib verlängert Zeitfenster für Knochenmarktransplantation
Der Frankfurter Onkologe setzt deshalb seine Hoffnungen auf eine Kombinationstherapie von Sorafenib mit anderen Therapeutika. Derzeit leitet Serve eine deutschlandweite Phase-II-Studie, in der 200 neu diagnostizierte AML-Patienten Sorafenib zusammen mit einer Chemotherapie erhalten. Ergebnisse erwartet er Mitte nächsten Jahres. Auch wenn Sorafenib alleine sehr wahrscheinlich keine Heilung der AML erwirke, so könne man mit ihm doch Zeit gewinnen, so Serve: „Die Suche nach einem geeigneten Knochenmarkspender dauert manchmal zwei bis drei Monate und gerade bei Patienten mit einem veränderten FLT3-Gen kann Sorafenib entscheidend dazu beitragen, dass die Leukämie bis zur Transplantation in Schach gehalten werden kann.“