Neurowissenschaftler schauen der Menschheit mit zunehmender Faszination per Kernspin ins Gehirn. Jetzt wurde der bisher eindrucksvollste Beweis dafür geliefert, dass die funktionelle MRT Gedanken nicht nur bunt einfärben, sondern auch lesen kann. Ein bisschen zumindest.
Rund zehn Jahre ist es her, als eine heute klassische Untersuchung des Gehirns mit funktionellem Kernspin für Aufmerksamkeit sorgte. Bei mehreren Probanden gelang es Neurowissenschaftlern damals, anhand der Aktivierungsmuster in den Schnittbildern der Magnetresonanztomographie zu erkennen, ob die jeweilige Person gerade ein Haus, ein Gesicht oder einen Stuhl betrachtete. Mit der auf diese Versuche folgenden Publikation wurde das Thema Gedankenlesen per MRT zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.
Blick in ein jungfräuliches Gehirn
Der große Durchbruch war das damals freilich noch nicht: Das ganze funktionierte nur deswegen, weil sich die Wissenschaftler vorher bei jedem einzelnen Probanden ganz genau angesehen hatten, wie das Gehirn auf die unterschiedlichen Bilder reagierte. Mustererkennung mit vorheriger Ansage war das also, und damit noch nicht so ganz das, was in spirituellen Zirkeln als echtes Gedankenlesen durchgehen würde. Doch jetzt gibt es eine neue Arbeit, die dem echten Gedankenlesen schon deutlich näher kommt. Wissenschaftler um den Psychologen Russell Poldrack vom Institut für Behavioral Neuroscience der Abteilung für Psychiatrie an der University of California in Los Angeles werden voraussichtlich in der Ausgabe Oktober 2009 der Zeitschrift Behavioral Neuroscience über eine Untersuchungsreihe berichten, an der 130 Probanden teilgenommen haben. Bei diesen Probanden wurde jeweils ein fMRT-Scan des Gehirns gemacht, und zwar während sie eine von acht „Denkaufgaben“ bearbeiteten. Dazu gehörte das laute Vorlesen von Wörtern, die Erkennung von Reimen, das Zählen von eingespielten Tönen, das Betätigen von Druckknöpfen auf bestimmte Schlüsselreize hin und das Treffen finanzieller Entscheidungen. Die Wissenschaftler haben dann die fMRT-Scans von 129 Probanden genommen und analysiert. Daraus wurde ein Algorithmus entwickelt, um damit vorherzusagen, welche der acht Aufgaben das 130. Gehirn gelöst hat.
Rund sechsmal besser als der Zufall
Das Ganze wurde für jeden der 130 Probanden gemacht. Anders als bei anderen Untersuchungen wurde der Algorithmus hier also auf ein „jungfräuliches“ Gehirn angewendet, ein Gehirn, von dem keinerlei Informationen bei der Formulierung des Algorithmus zur Verfügung standen. Dafür sind die Ergebnisse erstaunlich. Bei acht Aufgaben beträgt die zufällige Trefferquote durch bloßes Raten rein statistisch knapp 13 Prozent. Poldrack und seine Kollegen erreichten dagegen mit ihrem Algorithmus 80 Prozent. Mit anderen Worten: Bei vier von fünf Gehirnen lieferte der Algorithmus die richtige Antwort auf die Was-denkst-du-gerade-Frage. „Das ist sicher nicht perfekt, aber es ist doch ziemlich gut“, sagt Poldrack. „Wir können mit funktioneller MRT eine ganze Menge darüber sagen, was ein Mensch gerade denkt, obwohl wir sein Gehirn nie vorher gesehen haben.“ Spannend an den Daten aus Kalifornien ist unter anderem die Erkenntnis, dass die Gehirne der Menschen sich ähneln: „Wir sind oft sehr auf die vermeintlichen Unterschiede zwischen einzelnen Gehirnen fixiert. Aber unsere Untersuchung zeigt, dass die Gehirne der meisten Menschen ziemlich ähnlich arbeiten, sonst würde es nicht funktionieren“, betont Poldrack.
Je wirrer du denkst, umso schwieriger wird‘s
In vieler Hinsicht beruhigend ist freilich die Tatsache, dass es aller Mathematik zum Trotz eben doch keinen hundertprozentigen Erfolg gab. „Wir sind damit nicht annähernd gut genug, um zum Beispiel vor Gericht zugelassen zu werden“, so Poldrack. Er gibt auch zu bedenken, dass sich die 80 Prozent Erfolgsrate nur dann einstellt, wenn die Zahl der möglichen Lösungen auf acht genau definierte Gedanken beschränkt wird. „Wenn wir bei acht sehr unterschiedlichen gedanklichen Prozessen nur 80 Prozent Erfolg haben, dann sind wir noch sehr weit davon entfernt, herauszukriegen, was ein Mensch denkt, wenn viele Million Gedanken zugelassen sind.“
Die Grenzen des kalifornischen Ansatzes zur Gedankenleserei zeigen sich übrigens auch an einer ganz anderen Stelle. Die Mathematik, die dem eingesetzten Algorithmus zugrunde liegt, kommt aus der Welt des Maschinenlernens. Es ist eine sehr ähnliche Technologie wie jene, die von Internetportalen wie Amazon genutzt wird, um Einkaufsprofile der Kunden zu erstellen, die als Basis für gezielte Produktvorschläge dienen. Wer diese Sachen ein wenig beobachtet, weiß, dass die Leistungsfähigkeit solcher Funktionen Stand heute noch stark zu wünschen übrig lässt. Irgendwie beruhigend, oder?