Saufen bis das Kind kommt – so in etwa stellt sich die Situation für viele britische Teenager dar. Ein Gesundheitsdienstleister aus Amsterdam will den Alkoholproblemen der jungen Briten jetzt online zuleibe rücken – und hofft auf Geld vom NHS.
Junge Briten gelten im Allgemeinen als Europas Avantgarde in Sachen Alkoholkonsum. Die hohe Zahl unter Alkoholeinfluss gezeugter Teenagerkinder beschäftigt auf der Insel regelmäßig die ärztliche Standespresse. Zwar sind die Öffnungszeiten der Pubs noch immer in vielen Regionen limitiert. Doch die derartigen Begrenzungen nicht unterliegende Clubkultur ermöglicht auch in Leeds, Liverpool, Manchester und Co das Durchsaufen kaum bekleideter Jugendlicher bis ins Morgengrauen.
Die Online-Medizin in den Niederlanden expandiert
Britische Ärzte beschwören deswegen immer mal wieder das Gespenst einer verlorenen Generation, die in ihrer Jugend so dermaßen exzessiv gefeiert hat, dass sie später zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Derartige Lamentos haben sich offenbar bis in die Niederlande herum gesprochen, wo man mit Drogenkonsum inklusive sexueller Freizügigkeit bekanntlich reichhaltige eigene Erfahrungen sammelt. Die hat sich indirekt auch im Internet niedergeschlagen, wo sich in den letzten Jahren, unterstützt von nicht wenigen öffentlichen Fördermitteln, eine ganz eigene medizinische Online-Welt entwickelt hat. Sie zielt darauf ab, traditionellen Problemgruppen wie Drogenkonsumenten aber auch Menschen mit Geschlechtskrankheiten oder psychischen Erkrankungen einen möglichst niederschwelligen Zugang zu den Angeboten des niederländischen Gesundheitswesens zu ermöglichen – inklusive Erstattung der in Anspruch genommen Leistungen versteht sich. Das geht von diagnostischen Angeboten bis hin zur Psychotherapie. Aufmerksamkeit erregt hat beispielsweise ein in Amsterdam angebotener Test auf Geschlechtskrankheiten, für den man sich online anmeldet. Man erhält ein Pseudonym, macht damit die nötige Blutentnahme, wobei hierfür verschiedene medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen und kann ein paar Tage später die Ergebnisse erneut online und passwortgeschützt einsehen. Im Fall eines positiven Tests wird dringend eine Therapie empfohlen. Das Ganze klappt erstaunlich gut.
Suchttherapeuten machen auf Globalisierung
Der niederländische Gesundheitsdienstleister Tactus, der neben anderen Aktivitäten intensiv in der Suchtberatung engagiert ist und hier auch Online-Angebote vorhält, kam jetzt offenbar zu dem Schluss, dass solche Online-Angebote genau das sind, was die britischen Teenager brauchen. Das Unternehmen startet im Laufe des Julis ein englischsprachiges Portal in Großbritannien, das den wenig Interpretationsspielraum zulassenden Namen Lookatyourdrinking.com trägt. Es zielt auf junge Menschen mit einem Alkoholproblem, welches idealerweise noch nicht so ausgeprägt sein sollte, dass alles zu spät ist. Es geht also um Zeitgenossen mit wie man so schön sagt "problematischem Alkoholkonsum", die aber noch nicht völlig in die Alkoholabhängigkeit abgetaucht sind. Für diese Zielgruppe wird ab sofort ein in den Niederlanden konzipiertes und koordiniertes, 16wöchiges Therapieprogramm angeboten, bei dem der Kontakt zu einem ausgebildeten Therapeuten komplett online abläuft, inklusive Übungseinheiten für den Heimgebrauch. „Das Programm basiert auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie und bietet eine sehr umfangreiche Behandlung und außerdem die Möglichkeit zu einer langfristigen Anbindung der Teilnehmer“, erläutert der Programmmanager Marco Martinez. Für die Nachhaltigkeit gibt es von Therapeuten moderierte Chatrooms, die auch jenseits der 16 Therapiewochen noch zur Verfügung stehen.
Gesundheitswesen international bedeutet mehr als Badekuren in Tschechien
Abgesehen von dem innovativen Online-Ansatz ist das Programm auch deswegen bemerkenswert, weil es ein gutes Beispiel dafür ist, wie ein nationaler Gesundheitsdienstleister mit einem speziell für einen europäischen Fremdmarkt entwickelten Angebot gezielt nach internationalen Kunden fischt. Was freilich noch fehlt, ist die Erstattung innerhalb des jeweiligen nationalen Gesundheitssystems. Der NHS bezahlt die Therapie noch nicht: Die Kosten müssen selbst übernommen werden und liegen bei 1000 bis 2500 britischen Pfund. Für Martinez ist das wenig, gemessen an dem fünf- bis zehnfachen, das eine ähnliche umfangreiche Face-to-face-Therapie kosten würde. Er ist deswegen zuversichtlich, dass der NHS über eine anteilige Finanzierung mit sich reden lässt. Gespräche mit mehreren Versorgungsregionen laufen bereits.