Die Welt steht im medialen Bann der Infuenza H1N1 – doch Ärzte sorgen sich über den Vorstoß anderer Erreger. Seuchen wie Dengue-Fieber oder Chikungunya sind massiv auf dem Vormarsch, auch hierzulande. Worauf aber sollten Mediziner eigentlich achten?
Die Nachrichten aus Südamerika sahen zunächst exotisch aus. Schwerste Ausbrüche von Dengue-Fieber meldeten Ärzte vor wenigen Wochen in Argentinien und Brasilien, allein im brasilianischen Cuiaba setzte der Erreger seit Anfang 2009 über 7000 Menschen zu. Nach wie vor die nördlichen Provinzen Jujuy, Salta, Chaco, Cordoba, Santa Fe und Catamarca als riskant - dort sind nach offiziellen Angaben fast 15.000 Menschen erkrankt, die höchste Zahl seit 10 Jahren. Noch verheerender scheint die Lage im brasilianischen Bundesstaat Bahia zu sein, wo seit Anfang des Jahres 45.000 Menschen erkrankten und 38 Menschen inzwischen verstarben.
Medizinisch spannend, aber sonst: So what? Die Lage hierzulande aus vermeintlich sicherer Entfernung medizinisch so zu betrachten wäre ein fataler Fehler. Der Krankheitserreger, das Dengue-Virus, wird von tagaktiven Mücken in vielen tropischen Regionen übertragen – und ist in Europa auf dem Vormarsch.
Für Experten in Europa ist der Trend klar, wie der Leiter des in Mittelhäusern bei Bern ansässigen Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI), Christian Griot erklärt: „Dengue-Fieber ist im Ansteigen begriffen und führt schon heute zu über 100 Millionen Erkrankungen pro Jahr – im Vergleich dazu ist die Vogelgrippe ein Klecks“. Vor allem die Art der Viren bereitet Forschern wie Griot Kopfzerbrechen. Denn die zu den RNA-Viren gehörenden Arboviren seien in der Lage, grundsätzlich zu mutieren. „Eine Anpassung an europäische Verhältnisse ist daher nicht ausgeschlossen“, befürchtet Griot.
Ärzte wären daher gut beraten, schon jetzt die ersten Anzeichen einer Erkrankung zu erkennen. Innerhalb von 2-7 Tagen entwickelt sich ein grippeähnliches Krankheitsbild mit hohem Fieber, starken Kopf- und Gliederschmerzen und einem Druckschmerz hinter dem Auge. Besonders tückisch: Schon nach etwa einer Woche klingen die Symptome des Patienten wieder ab. Bei einer Ersterkrankung verläuft die Infektion in der Regel gutartig und komplikationslos. Wer jedoch ein zweites Mal mit Dengue-Viren infiziert wird, muss mit einem schweren Krankheitsverlauf rechnen. Eine Schutzimpfung gegen Dengue-Fieber gibt es nicht, der Arzt wird daher auch als Berater seines Patienten fungieren müssen: Ein effektiver Mückenschutz gilt als besonders wichtiges Präventionstool gegen die Seuche.
Noch vor wenigen Jahren waren lediglich Urlauber oder weltreisende Manager die Krankheiten wie das Dengue-Fieber mit nach Hause brachten. In Zukunft aber scheint eine Infektion im eigenen Land nicht mehr unwahrscheinlich. Erschreckend sei die Entwicklung deshalb, weil das deutsche Gesundheitssystem nur unzureichend gewappnet ist, wie die Sachbuch-Bestsellerautorin Marita Vollborn erklärt: „Es gibt kaum Ärzte, die eine tropenmedizinische Ausbildung haben; nur wenige können die Symptome richtig deuten“.
Krim Kongo Fieber als Rätsel
Dabei entscheidet die rechtzeitige Diagnose gerade bei hierzulande wenig bekannten Krankheiten über Leben oder Tod des Patienten. So gelten Türkei-Reisende mittlerweile als akut gefährdet – in weiten Teilen des Landes grassiert das für den Menschen mitunter tödlich verlaufende Krim-Kongo Fieber aus. Erst seit wenigen Jahren wissen Mediziner, dass der Erreger des Krim-Kongo hämorrhagischen Fiebers in weiten Teilen des Landes verbreitet ist. Er wird vor allem durch Zeckenstich auf Menschen übertragen, gelegentlich jedoch auch durch den direkten Kontakt zu Erkrankten. Allein 2006 waren es 438 Erkrankungen mit 27 Todesfällen. Doch auch der Süden Russlands ist betroffen, die Erreger finden ihren Weg gen Westen.
Für Ärzte ein Dilemma. Denn auch diese Erkrankung glänzt in ihrer Symptomatik durch diffuse Anzeichen: Zunächst gleicht die Virusinfektion einer Grippe mit Fieber und Erschöpfung. Erst danach treten zusätzlich Blutungen auf, die zu einem Kreislaufkollaps und Schock führen können. Bis zu 50 Prozent der Erkrankten überleben die Attacke der Erreger nicht – bei schneller medizinischer Hilfe sinkt die Todesrate auf knapp 10 Prozent.
Hanta-Viren erobern Bayern
Dass Grippeähnliche Symptome trotz globaler Panik nichts mit Schweinegrippe zu tun haben muss weiß die Techniker Krankenkasse (TK) in Bayern zu berichten. Dort nämlich erkrankten im vergangenen Jahr fast 300 Menschen an dem von infizierten Mäusen übertragenen Hantavirus, das ebenfalls grippeähnliche Beschwerden verursacht – in den Jahren zuvor waren im Schnitt nur rund 30 Patienten pro Jahr betroffen.
Was Ärzte wissen sollten: Im Falle einer Erkrankung treten hohes Fieber, Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen auf. Wer derartige Anzeichen falsch deutet, setzt die Gesundheit seines Patienten aufs Spiel, denn die Viren führen sogar zu Nierenversagen.
Zungenbrecher als tödliche Bedrohung
Bislang galt das von der Aedes-Mücke übertragene Chikungunya Virus als lästige, doch keinesfalls letale Bedrohung. Wie Epidemiologen im Fachblatt Emerging Infectious Diseases bereits im März vergangenen Jahres berichten, verstarben 2006 insgesamt rund 3000 Inder allein in der Gegend um die 3,8 Millionen-Metropole Ahmedabad an Chikungunya. Insgesamt gehen die indischen Behörden von über 60.000 Erkrankten im Jahr 2006 aus für diese Region aus, im ganzen Land waren mehr als 1,3 Millionen Menschen infiziert.
Grund zur Sorge besteht auch hierzulande: Chikungunya breitet sich infolge der Globalisierung und des Klimawandels rasant aus. Erst im Herbst 2007 konnten Eier der Asiatischen Tigermücke nachgewiesen werden. Epidemien in Europa sind nach Ansicht vieler Fachleute daher im Sommer auch in Europa möglich. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 50 Fälle der meldepflichtigen Erkrankung registriert. Einziges Manko: Nur wenige Ärzte kennen die grippeähnlichen Symptome der kommenden Seuche.