Vor kurzem berichtete DocCheck über die Beziehung zwischen Assistenz- und Chefärzten und ließ zwei Assis ihre Erfahrung schildern. Jetzt kommt ein Chefarzt selbst zu Wort. Wie sieht die andere Seite der – oft angespannten – Beziehung aus?
Das Gespräch führten wir mit Herrn Dr. Dr. Heribert Ortlieb, Chefarzt der Thoraxchirurgie im Karlsruher Vincentius-Krankenhaus.
Sehr geehrter Herr Dr. Dr. Ortlieb – vielen Dank zunächst, dass Sie uns heute Rede und Antwort stehen. Können Sie Sich noch an Ihre erste Begegnung während Ihrer Assistenzarzt-Zeit mit einem vorgesetzten Chefarzt erinnern? Wie war das bei Ihnen? Gab es Probleme oder verlief alles von Anfang an kollegial?
Ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Das war mein Bewerbungsgespräch mit Prof. Schwaiger, Chef der Chirurgischen Universitätsklinik in Freiburg. Er hat mir sehr deutlich geschildert, was auf einen Chirurgen „zukommt“. Ich hatte die Stelle wohl sicher, trotzdem wollte er, dass ich mir nochmal Gedanken mache, ob ich das auch wirklich so will.
Die Medien suggerieren ja stets, dass es qualitativ enorme Unterschiede zwischen den Behandlungen seitens der Assistenz- und Chefärzte gibt. Würden Sie Sich, wären Sie Patient, guten Gewissens bei einer OP in die Hände eines jungen Kollegen begeben?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. Das hängt vom Schwierigkeitsgrad des Eingriffs ab. Abgesehen davon: Ein Assistenzarzt operiert ja nicht einfach so darauf los. In der Regel verläuft die Ausbildung in Stufen, d.h. der Schwierigkeitsgrad der Eingriffe durch Assistenten steigt mit deren Erfahrung. Und (ich spreche für meine Abteilung) bei jedem Eingriff ist in der Regel die Oberärztin dabei. Ich selbst assistiere auch, denn nur so kann ich die Geschicklichkeit der Assistenten beurteilen.
Bei unseren Gesprächen mit jungen Kollegen fiel immer wieder der Hinweis auf teilweise sehr arrogante Chefärzte und die oft bedrückende Hierarchie in der Klinik. Jetzt dürfen Sie zum Gegenschlag ausholen: Sind die Assistenzärzte denn immer das Gelbe vom Ei?
Das hängt natürlich vom Assistenten ab. So wie es gute und schlechte Chefärzte gibt, gibt es auch gute und weniger gute Assistenten. Aber man sollte nicht vergessen, der Chefarzt hat sich diese Leute ja selbst ausgesucht. Es fällt also letztendlich wieder auf den Chefarzt zurück. Man sollte deshalb auch nicht zögern, Assistenten auf eine mangelnde Begabung z.B. für die Chirurgie hinzuweisen. Der Assistent ist deshalb ja kein schlechter Mensch, nur ist halt seine Begabung für dieses Fach nicht gegeben. Aber die Medizin ist so vielfältig, da sollte jeder etwas finden, was seinen Fähigkeiten entspricht.
Allerdings, was hier wohl von vielen Assistenten bemängelt wird, ist die Art der Menschenführung. Aber das ist auch eine Frage der Erziehung. Nur, weil ich einen weißen Kittel anhabe und mich vielleicht in einer besseren Position als der Assistent oder auch der Patient (auch da gibt es diese Probleme) befinde, gibt mir das noch lange nicht das Recht, diesen Personen mit Arroganz zu begegnen. Arroganz ist in meinen Augen der ungeeignete Versuch, sich Respekt zu verschaffen. Respekt kann man aber nicht einfordern - den erwirbt man sich im täglichen Umgang mit den Patienten und Mitarbeitern. Was arroganten Chefärzten entgegengebracht wird, ist nicht Respekt, sondern Angst.
Wie verläuft der Weg vom Assistenten, zum Ober-, hin zum Chefarzt? Mussten Sie viel Ellenbogen, Sitzfleisch oder Tricks anwenden?
Ich sage es mal so, alles ist möglich und denkbar. Es gibt sicher Kollegen, die haben massiv mit den Ellenbogen gearbeitet, andere sitzen (stehen kann man wohl nicht sagen) das durch, und wieder andere arbeiten mit allen Tricks. Eigentlich sollte die Leistung den Weg bestimmen, aber es bleibt wohl eine Illusion, dass es so abläuft. Letztlich werden wohl unsere Entscheidungen in einem hohen Maße emotional bestimmt, die sachlichen Argumente werden dann zur Rechtfertigung herangezogen.
Ich glaube, niemand kann sich von solchen Tatsachen komplett befreien. Und deshalb wird die Karriere immer von solchen Faktoren bestimmt werden. Das heißt aber auch, dass die Betroffenen immer versuchen werden, die Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen, sei es durch besonderen Eifer, Beharrlichkeit oder auch durch Tricks, indem Kollegen bewusst ausgebremst werden. Hier liegt es nun wieder am Chef, diese Personen einzuschätzen und die richtigen Personalentscheidungen zu treffen. Es hängt also auch wieder davon ab, wie gut der Chef "seine" Leute kennt.
Als Chefarzt haben Sie in Ihrer Abteilung die Verantwortung für das gesamte Team, sowie die Rechenschaft gegenüber der Klinikleitung. Gab es schon Momente, wo Sie Sich weniger „Last“ auf den Schultern gewünscht hätten?
Ehrlich gesagt, nein. Es gehört einfach dazu. Wenn man diese „Last“, was immer das sein mag, nicht tragen kann, sollte man sich auch nicht auf einen Chefposten bewerben. Es gab Oberärzte, die mit der Ernennung zum Chefarzt und der damit verbundenen Mehrbelastung völlig überfordert waren. Diese waren glücklich, wenn sie wieder auf ihre Oberarztposition zurückkehren konnten. Ich sehe keine unangenehmen Seiten.
O.k., die meisten würden jetzt hier an dieser Stelle den Umgang mit der Verwaltung nennen. Ich sehe das aber nicht so. Man neigt immer dazu, sich „Feindbilder“ aufzubauen. Als Assistent war es der Oberarzt, als Oberarzt hat man sich über den Chefarzt geärgert - und was bleibt dem Chefarzt? Wir dürfen nicht übersehen, dass wohl manche Klinik schon längst bankrott wäre, wenn die Ärzte allein das Sagen hätten.
Was ist nach all den Jahren noch immer die größte Motivation in Ihrem Beruf?
Das ist in erster Linie der Kontakt mit den Patienten. Aber auch die Arbeit im Team - und Chirurgie ist Teamarbeit - macht mir nach wie vor viel Freude. Das kann aber nur funktionieren, wenn man die Mitarbeiter des Teams auch als Menschen wahrnimmt.
Lieber Herr Dr. Dr. Ortlieb – wir danken Ihnen für das nette Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für Ihre berufliche und private Zukunft!