Mit einem erblichen 50-Prozent-Risiko an Krebs zu erkranken, ist fast so schlimm wie die Diagnose selber. Denn schicksalsträchtige Gene könnten auch die Zukunft der eigenen Kinder bestimmen. Wissenschaftliche Untersuchungen sollen den Betroffenen einen Leitfaden für das Gespräch in der Familie zu geben.
Krebs. Kaum ein Wort, das bei Menschen mehr Furcht hervorruft als die unkontrollierte Wucherung eigener Körperzellen. Fast jeder kennt einen Verwandten oder Bekannten mit diesem Schicksal. Die Allermeisten machen jedoch einen großen Bogen um dieses Thema und beschäftigen ich erst damit, wenn es sie selbst trifft.
Fast genauso unangenehm wie die Diagnose ist die Frage nach Risikofaktoren, die der noch so bewussten Lebensführung trotzen, weil sie in der vererbten DNA verschlüsselt sind. Wie gehen Menschen damit um, wenn sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent Brustkrebs und rund 50 Prozent ein Ovarialkarzinom entwickeln werden, weil ihre Brustkrebs-Gene BRCA1 und -2 mutiert sind? Informieren sie ihre Kinder, an die sie ihre erbliche Belastung mit einer 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit weitergeben?
Gutes Testergebnis fördert das Gespräch
Auf dem Jahrestreffen der amerikanischen klinischen Onkologen (ASCO) vor einigen Wochen berichtete Kenneth Tercyak vom Lombardi Comprehensive Cancer Center in Washington von einer Studie an 221 Müttern. Aufgrund häufiger Krebsfälle in der Familie unterzogen sie sich einem Gentest für BRCA-1 und -2. Etwa zwei von drei Müttern und knapp die Hälfte aller 124 befragten Partner der Probandinnen erzählten ihren Kindern innerhalb eines Monats von Test und Testergebnis. Im relativen Vergleich suchten vier mal so viele Mütter mit normalem BRCA-Status das Gespräch mit ihren Kindern als solche mit der High-Risk-Mutation. Weitere gesprächsfördernde Faktoren sind höheres Alter der Kinder und ein entspanntes Eltern-Kind-Verhältnis in der Familie.
Wer in seiner Verwandtschaft mehrere Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs hat, ist ein Kandidat für den Test - besonders dann, wenn unter jenen mit Mammakarzinom auch Männer sind. Denn jeder zwanzigste Brustkrebs-Patient weist eine autosomal dominante BRCA-Mutation auf. Eine absolute Sicherheit gibt es aber trotz Test nicht. Im besten Fall senkt ein negatives Ergebnis die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs von fünfzig auf acht bis zehn Prozent. Aber allein die Möglichkeit, dass die eigene schadhafte DNA die Gesundheit und Lebenserwartung der Nachkommen entscheidend beeinflusst, macht den Test und die Information über das Ergebnis für viele Mütter zu einer moralischen Verpflichtung. So argumentiert auch Tercyak in seinem Beitrag: "Die Frage, was Information und Verschweigen des Testergebnisses für das Kind bedeutet, sollte schon im Beratungsgespräch vor dem möglichen Gentest erörtert werden."
Entscheidungshilfen für Eltern
Ab einem Alter von etwa 25 bedeutet die BRCA-Abweichung von der Norm eine intensive Kontrolle: Alle sechs Monate eine sonografische Untersuchung und jährliche Mammographie- und Magnetresonanz-Aufnahmen. Auch ein radikaler Schnitt, die Mastektomie und/oder eine Adnexektomie, die Entfernung von Ovar und Tuben, sollte ein Bestandteil eines Beratungsgesprächs sein. Immerhin senken diese Maßnahmen das Risiko für das Mamma- und Ovarialkarzinom um 90 bzw. 95 Prozent. Alternativ dazu kann Tamoxifen entsprechend der IBIS-I-Studie das Risiko um etwa die Hälfte senken.
Manchmal kann es besser sein, das Gespräch mit den Kindern über ihr erbliches Krebsrisiko um ein paar Jahre zu verschieben. Besonders in einem Alter, in dem vorbeugende Maßnahmen noch nicht greifen, ist das Wissen um ihre Vorbelastung für die Heranwachsenden oft schwer zu ertragen. In einem neuen Artikel in der Fachzeitschrift "Familial Cancer" versucht Kenneth Tercyak und sein Kollegen einen Ratgeber für solche Fälle eines Gesprächs zwischen Eltern und Kind zu entwickeln - mit Pro- und Kontra-Argumenten.
Krebs ist Schicksal – meint jeder Vierte
Nicht immer lässt sich ein erbliches Risiko für die Tumorerkrankung per Gentest ermitteln. Einer Untersuchung des englischen Cancer Research zufolge glaubt rund ein Viertel der Bevölkerung, dass Krebs ein unabwendbares Schicksal sei. Bei Rauchern, so die interessante Beobachtung, liegt diese Quote sogar noch einmal um die Hälfte darüber. Psychische Belastungen als Krebsauslöser sind stark umstritten. Ein dänische Studie aus dem Jahr 2005 mit mehr als 8500 Teilnehmern zeigt, dass Stress, geistige Erschöpfung oder Depressionen nicht zu mehr Krebsfällen führen.
Viele Ärzte berichten von Patienten, die auf das Wort "Krebs" wie auf ein Todesurteil reagieren. Dabei sind die Chancen bei einem malignen Lymphom besser als etwa bei einer schweren koronaren Herzerkrankung oder einer Kardiomyopathie. Die Psychoonkologie ist eine recht junge Fachdisziplin, die sich mit dem Gemütszustand von Patienten und dem Verhältnis zwischen Arzt und Patient beschäftigt. Nicht immer bringt der Krebsmediziner ausreichend Zeitvorrat und die psychologische Schulung mit, um den Patienten mit seinen Ängsten zu unterstützen. Die amerikanische Comprehensive Cancer Network (NCCN) hat für eine effektive Unterstützung des Krebskranken ein Manual zum "Distress management" herausgegeben, das dem Hilfeleistenden Leitlinien für seine Patienten mitgibt.