Etwa ein Drittel der Deutschen glaubt, an Nahrungsmittelallergien zu leiden. Eine Allergie ist jedoch nur bei ca. 10% von ihnen nachzuweisen. Dennoch sind IgG-Tests sehr beliebt; sogar für Selbsttests wird geworben - zum Leidwesen vieler Allergologen.
Viel häufiger als richtige Nahrungsmittelallergien sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können, etwa funktionelle wie einen Laktasemangel im Dünndarm oder strukturelle wie Dünndarmdivertikel oder eine Achalasie, berichteten in diesem Jahr Dr. Yurdagül Zopf von der Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg und seine Kollegen. Etwa jeder Fünfte sei von einer Unverträglichkeit betroffen, bei der die Therapie sich selbstverständlich nach der Ursache richtet. Wirkliche Nahrungsmittelallergien hätten dagegen nur eine Prävalenz von etwa 2 bis 5 %.
Unseriöse Angebote
Aber egal ob Magenweh, chronische Hautleiden, Dauermüdigkeit oder häufiger Kopfschmerzen - viele Patienten glauben bei derlei Symptomen schnell, an einer Nahrungsmittelallergie zu leiden. „Gerade chronisch Kranke mit ihrem hohen Leidensdruck sind ein leichtes Opfer für die IgG-Test-Angebote“, sagt Kirsten Jung vom Bundesvorstand des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen. Denn mit den Tests lässt sich auf simple Weise viel Geld verdienen. 800 Euro kann eine Bestimmung kosten, meist sind es um die 300 Euro. Bedenklich sei, dass entsprechende Werbe-Broschüren auch in so mancher Arztpraxis auslägen, sagt Privatdozent Jörg Kleine-Tebbe vom Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin, der vor kurzem zusammen mit deutschen, schweizer und österreichischen Kollegen eine Leitlinie zur IgG-Testung bei Nahrungsmittelunverträglichkeit verfasst hat. In der Leitlinie haben die Allergologen eindeutig Stellung bezogen: „Der allergenspezifische Nachweis von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel ist zur Abklärung und Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ungeeignet und strikt abzulehnen."
Mangelerscheinungen durch unsinnige Diäten
Kritisch sehen Experten die Untersuchungen nicht nur wegen des Geldes, das die Betroffenen zahlen, ohne meist wirklich Hilfe zu erhalten. Tragisch seien vor allem die mitunter abgeleiteten Verhaltensweisen der Menschen. „Völlig unberechtigte Diäten werden gemacht, die bei einigen Betroffenen zu Mangelerscheinungen oder Unterernährung führen“, klagt Kleine-Tebbe. „Und das auch bei Kindern. Ein Skandal, das ist Körperverletzung. Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass IgG-Tests weiterhin für die Diagnose einer nahrungsmittelbedingten Überempfindlichkeit beworben werden und darauf hin oft überflüssige und möglicherweise krank machende Diäten für die Patienten resultieren." Leider tragen nach Angaben von Kleine-Tebbe einzelne Krankenkassen zusätzlich zur Verunsicherung bei, indem sie Kosten der bisher nur als IGeL angebotenen Tests übernehmen. Kleine-Tebbe: „Es ist absurd, wenn in Zeiten knapper Budgets das Geld der Versicherten für untaugliche IgG-Tests gegen Nahrungsmittel ausgegeben wird.“ IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel sind, wie die Allergologen ihr Nein zu IgG-Tests unter anderem begründen, „nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Indikator für krank machende Vorgänge misszuverstehen, sondern Ausdruck der natürlichen (physiologischen) Immunantwort des Menschen nach wiederholtem Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen.“ Dies gelte nach Angaben der Experten auch für chronische Erkrankungen und Beschwerden, deren Ursache angeblich eine vermeintliche, nicht erkannte Nahrungsmittelunverträglichkeit sei. Zu diesen Krankheitsbildern werden chronische Darmerkrankungen wie Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gezählt, ausserdem entzündliche Hauterkrankungen wie Akne, Neurodermitis, Psoriasis und allgemeine Symptome wie Migräne, chronische Müdigkeit, Übergewicht und viele mehr.
Allergenkarenz nicht automatisch indiziert
Wer annehme, bestimmte Lebensmittel nicht zu vertragen, sollte am besten einen Allergologen aufsuchen, rät Kirsten Jung. Vertrage jemand tatsächlich bestimmte Nahrungsmittel nicht, wehre sich der Körper mit Immunglobulinen der Klasse E, die sich mit einem IgE- oder auch Prick-Test nachweisen lassen. Grundlage für die meisten solcher IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien bei Erwachsenen sind kreuzreagierende Allergene. Ähnliche Molekülstrukturen in Inhalations- und Nahrungsmittelallergenen bedingen die Bildung kreuzreagierender IgE-Antikörper. Damit wird infolge der Sensibilisierung gegen ein Kreuzallergen, meist primär ein Inhalationsallergen, ein ganzes Spektrum an Sensibilisierungen ausgelöst. Bereits der Erstkontakt mit dem Nahrungsmittel kann eine anaphylaktische Reaktion provozieren. Die größte Bedeutung haben pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien. Für die klinische Praxis reicht es nach Angaben von Allergologen aber nicht aus, mittels immunologischer Tests eine Kreuzreaktion nachzuweisen. Es müsse zwischen einer Sensibilisierung ohne klinischer Relevanz und einer klinischen Manifestation der Allergie unterschieden werden, weswegen bei unklarer Anamnese orale Provokationstests notwendig seien. Nur wenn die Kreuzreaktion mit klinischen Symptomen einhergehe, sei eine Allergenkarenz begründet. Ob außerdem eine spezifische Immuntherapie bei Nahrungsmittelallergien eine Hilfe ist, müsse noch in ausreichend großen Studien geklärt werden, sagt Dr. Margarete Niebuhr von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Medizinischen Hochschule Hannover (Hautarzt 2008. 59: 544–550). Therapie der Wahl bleibe bis dahin, auf die jeweiligen Nahrungsmittel zu verzichten und ein Notfallset mitzuführen.