Manager sind gewohnt, wichtige Entscheidungen per Videokonferenz zu treffen. Der Chat am virtuellen Konferenztisch ist preiswert und zeitsparend. Ob die Technik auch in der Beziehung Arzt - Patient funktioniert? Die USA sagen ja und starten eine Offensive.
Connected Care macht den ärztlichen Hausbesuch überflüssig, erübrigt den Arztbesuch in der Praxis und will das amerikanische Gesundheitswesen bahnbrechend reformieren. Patienten müssen sich nicht mehr frei nehmen für einen Arzttermin. Mediziner können ihr Versorgungsgebiet vergrößern, ohne lange Fahrzeiten in Kauf zu nehmen. Was sich auf diesen kurzen Nenner gebracht eher wie eine Sommerente liest, hat für die Initiatoren einen handfesten Hintergrund. Connected Care soll das erste nationale Telemedizin-Netzwerk werden, das medizinische Versorgung an den Arbeitsplatz und in ländliche, unterversorgte Regionen bringt. Die Partner setzen dabei auf Videokonferenz-Technik in High-Definition (HD)-Qualität und digitalisierte Untersuchungsgeräte wie Stethoskop, Blutdruckmesser oder Pulsoxymeter. Wichtig sei, dass der Patient das Gefühl hat, seinem Arzt direkt gegenüberzusitzen. Nach der Vorstellung der Initiatoren heißt dies, dass beispielsweise bei einer Untersuchung der Hörgänge mit einem Otoskop der "Remote-Doctor" aufgrund der Bilder auf seinem Monitor sofort eine Diagnose stellt und die Behandlungsmaßnahmen mit dem Patienten quasi von Angesicht zu Angesicht bespricht. Die Untersuchungen vor Ort sollen entsprechend geschulte medizinische Assistenten vornehmen. Das erforderliche Equipment kann entweder beim Betriebsarzt oder in einer mobilen Connected Care-Klinik installiert sein.
Investoren aus der Wirtschaft
Als Promoter und Initiatoren von Connected Care haben sich Cisco und die UnitedHealth Group (UHG), zwei amerikanische Wirtschaftsgiganten, zusammengeschlossen. Cisco bezeichnet sich selbst als weltweit führenden Netzwerk- und Videokonferenz-Anbieter mit 65.000 Beschäftigten. Der Weltkonzern beteiligt sich mit seinem Produkt HealthPresence an dem nationalen Telemedizin-Netzwerk. Die UnitedHealth Group, ein gewichtiger Dienstleister in der Gesundheitsvorsorge mit diversen Geschäftsfeldern, bringt ein Netzwerk von 590.000 Medizinern und rund 4.900 Hospitälern in das Projekt ein. Außerdem ist die Gruppe mit 70 Millionen Mitgliedern der größte private Krankenversicherer in Amerika. Nach eigenen Aussagen versteht sich die Company als Reformer und Modernisierer des amerikanischen Gesundheitssystems. Insofern passt Connected Care ins Programm. Beide Initiatoren scheinen sich sicher zu sein, dass ihr Kalkül aufgeht. Sie investieren zig Millionen Dollar in das Projekt. Das Modell werde die Produktivität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung verbessern und die Kosten minimieren, heißt es in der Pressemeldung.
Werbung mit groß angelegter Kampagne
Dass die Amerikaner viel von Marketing verstehen, stellten die beiden Giganten einmal mehr unter Beweis. Gleichzeitig mit der Ankündigung der Markteinführung von Connected Care wurde eine mobile Klinik auf achtzehn Rädern als Showroom auf nationale Tour geschickt. Mit dem Truck soll auf Veranstaltungen und Messen für das Telemedizin-Netzwerk geworben werden. Eine weitere mobile Remote-Klinik startete auf den Weg nach New Mexiko, wo das erste Connected Care –System implementiert wird. Das Programm, das von der internationalen Hilfsorganisation Project Hope unterstützt wird, konzentriert sich auf die Diagnose von Diabetes und anderen chronischen Krankheiten. Inkludiert ist ein "train-the-trainer"-Programm, mit dem die lokalen Pflege-Kapazitäten erweitert und für die technische Anwendung qualifiziert werden. Ebenfalls gleichzeitig mit der Ankündigung von Connected Care wurden die Ergebnisse zweier Pilotprojekte vorgestellt, die Cisco an seinem Stammsitz in San Jose, Kalifornien und in Schottland zusammen mit dem National Health Service (NHS) durchgeführt hatte. Getestet wurde die Akzeptanz von HealthPresence. Resultat: Mehr als 95 Prozent beurteilten das Experiment positiv. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn in San Jose nahmen ausschließlich Beschäftige von Cisco und deren Familien an dem Pilotprojekt teil.
Übertragbar auf Deutschland?
Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) hatte bereits vor acht Jahren eine mit Cisco vergleichbare telemedizinische Plattform mit Videokonferenz-System für die Behandlung von Schlaganfall-Patienten vorgestellt, aber die Krankenkassen zeigten kein Interesse, dies in ihre Regelversorgung umzusetzen. Stephan Kiefer, Group Manager am IBMT, u.a. verantwortlich für den telematikgestützten Gesundheitskiosk, kann sich sehr wohl vorstellen, dass ein System wie das Connected Care auch in Deutschland speziell zur häuslichen Versorgung chronisch Kranker sinnvoll ist – vor allem in ländlichen Regionen. "Telemedizin kann dem Arzt zeitraubende Hausbesuche ersparen und dem Patienten lange Wege in die Arztpraxis. Selbstmessung von Therapiekontrollparametern oder Risikoparametern wie Blutzucker, Blutdruck, Gewicht stärken Eigeninitiative und die Therapietreue beim Patienten. Die Fernkontrolle und Videokonferenzen geben Sicherheit und binden den Patienten an seinen Arzt", so der Dipl.-Informatiker. Würde es denn auch Investoren für so ein Projekt geben? "Im Prinzip kämpfen alle telemedizinischen Systemhersteller mit den gleichen ökonomischen Problemen. Die Leistung des Arztes muss in der GKV abrechenbar sein oder der Einsatz eines Telemedizinsystems muss dem Arzt einen anderen geldwerten Vorteil verschaffen. Erst dann können Dienstleistungsmodelle und Geschäftsmodelle entstehen", erklärt Kiefer.