Vereinzelte Berichte über Spätfolgen bei Kaiserschnitt-Kindern haben der Popularität der Methode bisher nicht geschadet. Die Entdeckung schwedischer Forscher könnte die Diskussion neu entfachen. Denn das Erbgut der so Entbundenen sieht anders aus als das normal Geborener.
Immer mehr Frauen in Deutschland tun sich die Schmerzen nicht mehr an. Kaiserschnitt heißt das Zauberwort nach neun Monaten mit Übelkeit, Kleiderproblemen und zunehmender Unbeweglichkeit. In Brasilien sind es vier von fünf Frauen, in den USA vier von zehn und in Deutschland inzwischen jede dritte. Dennoch zweifeln viele von ihnen, ob sie ihrem Kind mit der schnellen Geburt per Skalpell keine Nachteile oder Risiken mitgeben.
Immer wieder tauchen in der Fachliteratur Berichte auf, dass Kaiserschnitt-Kinder angeblich häufiger an Asthma und anderen Allergien leiden, oder dass sich unter ihnen überdurchschnittlich viele Typ-1 Diabetiker befinden. Nun verunsichert eine Untersuchung aus dem Stockholmer Karolinska Institut diese Frauen noch mehr. Denn das Erbgut der vermeintlich stressfrei befreiten Säuglinge sieht anders aus als das ihrer Altersgenossen. Ihre DNA ist viel stärker methyliert. Das bedeutet, dass viele Gene anscheinend abgestellt sind, die bei der Vaginalgeburt aktiv sind.
Blockierte Gene nach dem Kaiserschnitt
Mikael Norman und seine Kollegen suchten sich für ihre Studie 37 Kinder, von denen 21 auf natürliche Weise auf die Welt kamen, 16 mit einem geplanten freiwilligen Kaiserschnitt. In den Leukozyten des Nabelschnurbluts von Kaiserschnitt-Kindern fanden die Forscher eine rund zwanzig Prozent höhere Methylierung. Nach einigen Tagen maßen die Ärzte noch einmal mit Blutproben beider Gruppen nach. Zur allgemeinen Überraschung hatte sich bis dahin das Ausmaß der DNA-Methylierung bei beiden Studienästen angeglichen.
Die Untersuchung zeigt zum ersten Mal beim Menschen, dass die epigenetische Steuerung auf DNA-Ebene nicht nur in der frühen Embryonalentwicklung, sondern auch noch nach der Geburt aktiv ist. Bis dahin galt, dass DNA Methylasen den Zellhaufen kurz nach der Befruchtung erst einmal "reinwaschen". Ausgenommen davon sind Gene, die durch Imprinting reguliert werden. Je nach Herkunft von Vater oder Mutter sind diese Elemente dann im Kind aktiv. Bei der weiteren Differenzierung der embryonalen Gewebe versehen DNA-Methyl-Transferasen vor allem CG-Reste der DNA, aber auch Histone spezifisch mit Methylgruppen. Einflüsse auf diese Reaktionen im Mutterleib haben damit wohl Auswirkungen auf das gesamte Leben des Heranwachsenden.
Ernährung der Großeltern beeinflusst Enkelgesundheit
Der Amerikaner Randy Jirtle konnte bereits 2003 im Labor zeigen, dass Futter für schwangere Mäusedamen je nach Anteil an übertragbaren Methylgruppen die Fellfarbe der Nachkommen beeinflusst. Aber auch beim Menschen gibt es Hinweise, dass etwa der Hunger der Kriegszeit noch die Gesundheit der Enkel mitprägt. Dass die DNA nicht nur in kleinen Zeitfenstern für epigenetische Veränderungen offen ist, zeigen Untersuchungen aus Island und dem amerikanischen Bundesstaat Utah: Bei einem DNA-Vergleich von 111 Probanden im Zeitabstand von elf bis sechzehn Jahren hatte fast jeder Dritte ein Methylierungsmuster, dass sich um mehr als zehn Prozent von dem der vorherigen Analyse unterschied. Eine klare Tendenz für eine Zunahme oder Abnahme der "blockierten" DNA sahen die Forscher nicht.
Was bedeuten nun aber die epigenetischen Unterschiede bei Kaiserschnitt-Kindern? Ob sie Auswirkungen auf die Gesundheit ihrer Träger haben, ist im Moment völlig ungewiss. Normalerweise, so schreibt Mikael Norman, werden beim Embryo kurz vor der Geburt adrenerge Rezeptoren aktiviert. Ein ausreichender Brennstoff-Vorrat soll für ausreichend Energie für die lange sauerstoffarme Passage durch den Geburtskanal sorgen und anschließend die Lungenatmung ermöglichen. Beim Kaiserschnitt vor den Wehen fehlt der langsam ansteigende Katecholamin-Schub. Das Neugeborene fühlt den Stress einer völlig neuen Umgebung von einem Moment auf den anderen. Ob das der Hintergrund einer höheren neonatalen Morbidität sein könnte, wie sie einige Studien beobachten, weiß bisher niemand genau zu sagen.
Furchtlos durch Methylierungsantagonist?
Dass aber nicht nur die mütterliche Ernährung, sondern auch Stress während der Schwangerschaft epigenetische Veränderungen bewirken, scheint klar. So fand die Gruppe des Epigenetik-Pioniers Moshe Szyf aus dem kanadischen Quebec etwa bei Gehirnen von Suizid-Patienten eine übermäßige Methylierung der Gene für ribosomale RNA. Bei jenen, die als Kind missbraucht wurden, fanden die Wissenschaftler eine geringere Aktivität des Glucokortikoid-Rezeptors im Hippocampus und eine stärkere Methylierung. Damit bestätigten sie Versuche an Laborratten. Mangelnde Fürsorge lässt sie zu verängstigten Tieren heranwachsen, deren "Stressverarbeitungs"-Zentren im Gehirn nur unzureichend arbeiten. Dass Methylierungs-Blocker eine solche Hypermethylierung und die Auswirkungen von Stress auf das Verhalten verhindern können, zeigten im letzten Jahr die Amerikaner Courtney Miller und Davis Sweatt ebenfalls an Ratten.
Macht also der Kaiserschnitt aus den Frischgeborenen verängstigte und empfindliche Kinder, die im späteren Leben ein überdurchschnittliches Krankheitsrisiko tragen und ihr Geburtstrauma vielleicht noch an die Kindeskinder weitergeben? Zunächst wollen die Forscher das Rätsel der schnellen Demethylierung nach der Geburt lösen. Ist die unterschiedliche Regulation der Gene für den kurzen Zeitraum überhaupt relevant? Welche Gene schaltet der kleine Organismus dabei an und aus?
"Die Veröffentlichung", so schreibt Szyf in einem Kommentar zu Normans Artikel, "erlaubt einen ersten Einblick in die dramatische Bedeutung, die veränderte Umweltbedingungen, wie sie während der Geburt auftreten, auf unser Epigenom hat. Epigenetik scheint das versteckte Bindeglied zwischen Einflüssen im frühen Leben und Störungen im Alter zu sein." Sie wäre damit, so der Professor aus Montreal, auch der Grundstock für die Entdeckung der geheimnisvollen Verbindungen zwischen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen und Erkrankungen des Körpers.