Bislang galten vor allem genetische Faktoren als Auslöser der Zöliakie. Jetzt zeigen Virologen, dass Infektionen mit harmlosen Reoviren ebenfalls eine Rolle spielen. Vor allem im Zusammenhang mit glutenreicher Ernährung könnte dies Zöliakien triggern.
Bei Zöliakie treten charakteristische Merkmale einer Autoimmunerkrankung auf. Harmlose Bestandteile mancher Getreidesorten, die Glutene, lösen dann eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus. Experten geben als Prävalenz eins zu 500 für Deutschland und eins zu 110 für die USA an. Die Krankheit mainfestiert sich besonders häufig im Säuglingsalter und im vierten Lebensjahrzehnt. Bislang galten Histokompatibilitätsantigene (HLA), speziell HLA DQ2, DQ7 und DQ8, als mögliche Risikofaktoren. Die Erklärung hat jedoch eine Schwäche: Jeder vierte Mensch hat diese Konstellation, 98 Prozent von ihnen entwickeln jedoch keine Glutenunverträglichkeit. Jetzt liefert Romain Bouziat, Virologie-Forscher an der University of Chicago, eine mögliche Erklärung.
Bouziat experimentierte mit Reoviren. Zöliakie-Patienten hätten häufiger Antikörper gegen diese Spezies im Blut als gesunde Menschen, schreibt der Forscher als Erklärung seines Ansatzes. Das Reovirus T1L („type 1 Lang“) infiziert den Darm von Mäusen, ohne dass es zu einer Erkrankung kommt. Im Unterschied dazu zeigt das Reovirus T3D („type 3 Dearing“) bei Versuchstieren keine Effekte. Bouziat und Kollegen haben deshalb T3D gentechnologisch verändert, sodass es doch zu Infektionen kam. Auch hier traten keine Symptome auf. Gaben Forscher den Tieren gleichzeitig T1L und das Weizenprotein Gliadin, entstanden deutlich mehr Anti-Gliadin-Antikörper. Sie stehen mit Zöliakie in einem engen Zusammenhang. Diesen Effekt zeigten transgenes T3D plus Gliadin nicht. Als Erklärung sieht Bouziat, dass zu wenige regulatorische T-Zellen gebildet wurden. Sie sind für die Immuntoleranz verantwortlich. Neben der höheren Aktivität von TH1-Zellen wurde die Expression von IRF1 (Interferon Regulatory Factor 1) herunterreguliert. Das Gen spielt unter anderem bei der Immunantwort eine Rolle.
Neben seinen Ergebnissen aus dem Tierexperiment nennt der Wissenschaftler weitere Belege für seine Reovirus-Hypothese: Zöliakie tritt in Ländern mit westlichen Ernährungsgewohnheiten deutlich häufiger auf. Nach dem Abstillen erhalten Kleinkinder oft feste Nahrung mit glutenhaltigen Getreidesorten. Kommen sie zeitgleich mit einem Reovirus in Kontakt, könnte dies Zöliakien triggern. Die Infektion selbst fällt weder Eltern noch Ärzten anhand von Symptomen auf. Jetzt sind weitere Studien geplant, um die Vermutung zu belegen. Behält das Forscherteam Recht, wäre langfristig auch eine Impfung gegen Reoviren denkbar.