Man kennt sie, die Überflieger. Die Mitstudierenden, die jede mündliche und schriftliche Prüfung auf Anhieb bestehen. Jene, die erhobenen Hauptes in alle Examen spazieren, da sie sich sicher sein können, die Prüfer durch ihr Fachwissen und eloquentes Auftreten sofort zu überzeugen. Man kennt sie und hegt heimlich eine Mischung aus Neid, Verachtung und Bewunderung für diesen Schlag Mensch im Medizinstudium.
Denn vielleicht gehört man selbst ja zu der anderen, der dunkleren Seite der Studierenden? Zu jenen, welche von der Fülle des Stoffes nahezu erdrückt und erschlagen werden. Zu jenen, die nicht erhobenen Hauptes durch das Studium schreiten, sondern sich von Klausur zu Klausur retten und für die eine Vier schon einen echten Grund zum Jubeln darstellt.
Es gibt aber noch eine Stufe unter diesen „Vier gewinnt“ Studierenden. Jene nämlich, welche das Medizinstudium krank an Körper und Seele macht. Denn ebenso, wie es im harten Berufsleben und der rücksichtslosen Ellenbogengesellschaft unzählige Fälle von sogenanntem Burnout-Syndrom gibt, kann diese heimtückische Falle auch schon während des Studiums zuschnappen.
Wir haben für Euch mit einem Betroffenen gesprochen, der sein Studium gesundheitsbedingt im sechsten Fachsemester beenden musste. Aus Rücksicht auf unseren Gesprächspartner haben wir seinen Namen geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.
DocCheck Campus: Hallo Daniel! Bist Du selbst ein Betroffener des heiklen Themas „Burnout im Studium“ gewesen?
Daniel Bertram: Das kann man so sagen. Ich habe zum Wintersemester 2003/04 einen Platz an der Universität in Tübingen bekommen. Für mich war das ein echter Glückstreffer, da meine Wartesemester und mein NC genau gepasst haben und ich damit schon gar nicht mehr gerechnet habe. Das war also ein Zeichen für mich, das Abenteuer Medizinstudium zu wagen - auch wenn ich schon ein paar Jahre älter war, als der durchschnittliche Medizinstudierende.
DocCheck Campus: Wie kam es dann zu den Problemen, die Dir letztendlich das Weiterstudieren unmöglich gemacht haben?
Daniel Bertram: Ok, dafür muss ich ein bisschen ausholen. Das Studium begann bei mir eigentlich ganz normal und ohne größere Probleme. Sicherlich war ich schon längst aus der Schule draußen und dementsprechend nicht mehr so super geübt im Lernen und disziplinierten Wälzen von Büchern und Fachliteratur. Im Großen und Ganzen habe ich das aber immer irgendwie gebacken bekommen, mich durch die Klausuren durchzumogeln (natürlich immer mit erlaubten Mitteln!) und auch bei den mündlichen Testaten schlechtestenfalls eine Drei oder Vier zu schaffen. Mir waren die Zensuren völlig egal – Hauptsache, ich bin durch!
Der große Hammer kam dann aber mit der Vorbereitung auf das Physikum. Ich war nicht ganz „in time“, da ich noch ein paar Scheine ausstehen hatte, und so stand ich plötzlich recht alleine vor dem Berg an zu bewältigendem Stoff. Meine ganzen Kolleginnen und Kollegen aus der Anfangszeit des Studiums hatten das Physikum nämlich bereits abgehakt, so dass ich keine Lerngruppe hatte, welche vielleicht ein bisschen den Druck aus der Geschichte hätte nehmen können. So fing ich also an, mich im stillen Kämmerlein auf das Erste Staatsexamen vorzubereiten. Es kam, wie es kommen muss: Die Zeit lief mir davon; ich habe viel zu wenig Stoff in viel zu wenig Zeit wiederholt bekommen; jeden Tag bin ich nur mit Grausen an den Schreibtisch gegangen und habe nach zwei Stunden spätestens gemerkt, dass ich nur noch „hirnlos“ in den Büchern geblättert habe. Hängen geblieben ist da nicht wirklich viel.
DocCheck Campus: So ähnlich hat das bestimmt jeder von uns schon mal erlebt. Wie kam es denn dann zu dem großen „Knall“ bei Dir?
Daniel Bertram: Genau! Bis dahin bin ich mir auch noch nicht wie ein Sonderfall vorgekommen. Schlimm wurde es erst, als ich eine Woche vor dem schriftlichen Teil des Examens auf gut Deutsch gesagt todkrank geworden bin. Ich wurde mit Schüttelfrost-artigen Krämpfen und Fieber bis über 41 Grad ins Krankenhaus eingeliefert. Organisch konnten die Ärzte nichts feststellen, so dass ich 2 Tage später wieder heim durfte. Beim Examen bin ich dann mit wenigen Punkten durchgefallen, was mir solch einen Schrecken versetzt hat, dass ich zur mündlichen Prüfung gar nicht erst angetreten bin. Und damit begann dann der Teufelskreis. Beim nächsten Termin kamen die gleichen gesundheitlichen Symptome wie ein halbes Jahr zuvor. Heftigste Fieberschübe kurz vor der Schriftlichen. Beim Termin für die Mündliche musste mich ein Amtsarzt krankschreiben, da meine Mandeln so geschwollen waren, dass ich nicht mehr schlucken konnte. Drei Tage danach war dann alles wie weggeblasen. Irgendwann kam ich dann auf den Trichter, dass ich dringend psychologische Hilfe benötige. Dass hier nicht mehr nur eine völlig alltägliche Prüfungsangst vorliegt, hatte ich spätestens gemerkt, als ich auch den zweiten Examenstermin vermasselt hatte. Mein behandelnder Psychotherapeut hat dann ziemlich schnell auf ein latent vorhandenes Burnout-Syndrom getippt und mir auch ein paar Ratschläge mit auf den Weg gegeben, wie ich meine Zeit besser einteilen kann und meine Lernperioden besser manage. Lange Rede, kurzer Sinn: Beim dritten Anlauf habe ich dann das Examen gepackt.
DocCheck Campus: Na, da darf man doch gratulieren! Oder war damit Deine Odyssee noch nicht beendet?
Daniel Bertram: Nein, damit war die Geschichte leider noch nicht ausgestanden. Obwohl mir alle Leute während der Vorklinik erzählt haben, dass der klinische Abschnitt viel leichter und spannender verlaufen würde, tat ich mir weiterhin sehr schwer mit dem Bewältigen des Stoffes. Ich bekam die gleichen Probleme wie in der Vorklinik, nämlich jene, dass ich immer erst auf den zweiten oder gar dritten Anlauf meine Klausuren gemeistert bekam. Dies lag wieder nicht an meinem Willen, sondern an fehlerhaftem Vorbereiten und dem ständigen Druck, nicht wieder psychisch überfordert oder gar krank zu werden. Dies ging dann so weit, dass ich im zweiten klinischen Semester einen totalen Zusammenbruch erlitten habe. Dieser kam für mich quasi aus heiterem Himmel. Eines Abends konnte ich auf einem Ohr nichts mehr hören und hatte ein ganz seltsames Gefühl im Magen. Am nächsten Tag bin ich gar nicht aus dem Bett gekommen und habe fast 48 Stunden geschlafen. Als sich meine Freundin wirklich Sorgen gemacht hat und unseren Hausarzt konsultierte, war dieser erst ziemlich ratlos und meinte nur nebenbei und fast ein bisschen wie im Spaß: „Das sieht mir fast so aus, als ob Sie ein Burnout-Syndrom hätten!“
Da hatte ich zum ersten Mal das Stichwort, welches mir so viele Probleme erklären konnte. Ich begab mich sofort in die Hände eines spezialisierten Facharztes und wurde erst mal für über einen Monat auf eine Art Kur geschickt. In dieser Zeit habe ich versucht, meine Baustellen privater und beruflicher Natur ein wenig zu beleuchten und mich – der Gesundheit zuliebe von dem einen oder anderen Projekt zu trennen. Der erste Schritt war die Exmatrikulation an der Uni. Damit ist zwar ein Traum geplatzt und viele Leute um mich herum sind sprachlos und entsetzt gewesen, aber im Nachhinein betrachtet war dies der einzig richtige Schritt.
DocCheck Campus: Das ist ja jetzt schon eine Weile her. Wie siehst Du Deine Situation heute und wie geht es Dir jetzt?
Daniel Bertram: Vom gesundheitlichen Standpunkt aus betrachtet bin ich heute etwas „gesünder“ als während der Studienzeit. Natürlich bin ich noch nicht ganz über den Berg und muss viele Dinge ein wenig ruhiger angehen lassen, als die Mehrzahl meiner Altersgenossen. Ich habe diesen Warnschuss vor den Bug aber einfach zu erkennen und akzeptieren gelernt, dass ich mit dem Studium eine Belastungsgrenze überschritten habe, die mir tatsächlich an die Substanz gegangen ist – gesundheitlich, wie auch von der Lebensqualität her. Darüber mögen manche Musterstudenten lächeln, aber ich kann es ja auch nicht ändern. Die Gesundheit steht über allem – und notfalls muss man auch Lebensträume hinten anstellen, um diese zu sichern und zu bewahren!
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