Rund 7.000 der heute 21.500 deutschen Apotheken sind nach Expertenschätzung vom Aus bedroht. Wer überleben will, muss heute bereits vorsorgen – neue spannende Konzepte wie "die Apotheke als medical social network" müssen her.
Die Nachricht aus Mexiko ging im allgemeinen Trubel unter: Der bis dahin praktisch unbekannte Erreger der neuen Grippe, H1N1 A, hatte innerhalb weniger Tage über 500 Ärzte und weiteres Krankenhauspersonal infiziert und Antonio Sanchez Arriaga von der Gewerkschaft National Independent Union of Health Workers in Panik versetzt: Auf über 1.500 könne die Zahl des infizierten Fachpersonals ansteigen, ließ der Mexikaner den Rest der Welt wissen.
Die Kunde von den ungeschützten Ärzten dürfte auch fünf Monate nach dem kuriosen Vorfall Apotheker aufhorchen lassen. Denn entgegen der landläufigen Annahme hatte nicht die Gefährlichkeit des Virus, sondern Unkenntnis über die genauen Anforderungen der Schutzausrüstungen für das Debakel gesorgt. Dass Ärzte, die über Therapien und Behandlungen entscheiden, im Sog schneller Entscheidungen die eigene Sicherheit vergessen, ruft die zweite Säule der medizinischen Versorgung auf den Plan: Apotheker kommt gerade in Pandemiezeiten eine tragende Rolle in Punkto Aufklärung und Handling zu.
Tatsächlich war den Mexikanern das entgangen, was gut sortierte Apotheken hierzulande wissen sollten. Nicht alles, was auf den ersten Blick Viren und andere Erreger fernzuhalten verspricht, nützt wirklich. Das mexikanische Militär hatte zur Eindämmung der grassierenden Schweinegrippe Atemschutzmasken verteilt, die weitgehend wirkungslos waren. Denn nach Angaben der US amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC schien ein "wissenschaftlich erwiesener Nutzen" der Wirkung von Atemschutzmasken generell ohnehin nicht belegt - vielmehr beruhten die Maßnahmen auf "Erfahrungswerten".
Was für Mexiko gilt, hat auch hierzulande Gültigkeit. Deutsche Behörden beispielsweise weisen darauf hin, dass lediglich sogenannte FFP3 Masken einen ausreichenden Schutz vor Viren wie SARS und H5N1 bieten - inwieweit H1N1 ebenfalls abgefangen werden kann, ist aber außerhalb dieser Atemschutzmasken-Kategorie fraglich.
Die Apotheke als Schaltzentrale der Basisberatung: wer so dachte wurde von Ärzten und Behörden noch vor einem Jahr nur müde belächelt. Inzwischen aber steht fest: Gerade in Zeiten neuer und neu verstärkt aufkeimender alten Seuchen avancieren Apotheken in Sachen Prävention und Therapie zum vordersten Frontabschnitt.
Denn die neuen Herausforderungen liegen in der gekonnten Kombination von Beratung und Verkauf von Medikamenten und Hilfsmitteln. Anders als in der Arztpraxis vermag die Apotheke nämlich auf praktische Hilfe für den Alltag eingehen. Der Arzt verschriebt, der Apotheker aber berät die Patienten weiter, lautet daher die Devise in Zeiten von Schweinegrippe & Co. Auf harte Fakten zu setzen lohnt dabei allemal. Wer seine Kunden durch Kompetenz überzeugt, wird ihnen auch die nötigen Produkte verkaufen können.
Apotheke als social Club
Beratung als wichtigstes Tool im Kampf gegen die Konkurrenz? Gerade inhabergeführte Apotheken sollten auf diese Strategie setzen, wie auch das Fachblatt „Apotheke + Marketing“ unlängst attestierte. Allerdings scheitern die meisten Apotheken aus einem schlichten Grund an diesem Konzept: Sie sind räumlich und optisch als Verkaufsposten, und nicht als Informationsquelle für den Kunden ausgerichtet.
So wären zunächst Investitionen in eine wirklich ansprechende Schaufenstergestaltung ebenso sinnvoll wie die innenarchitektonische Umgestaltung – wer lässt sich als Kunde schon gerne mit etlichen genervten Personen im Nacken vor der Kasse über Krankheiten und Hilfsmittel beraten? Ein eigens dazu vorgesehener Beratungsbereich mit einem dazu abgestellten Mitarbeiter sind auf den ersten Blick teure Investitionen, wirken aber als Magnet für die nachhaltige Kundenbindung. Dazu ließen sich saisonbedingt Themenschwerpunkte bewerben: Influenza und Viren im Herbst, Reisekrankheiten im Sommer und Winter und die erste Hilfe für den Skiurlaub im neuen Jahr.
Die Daseinsberechtigung für derartige Maßnahmen als Primärstrategie liefern Fachleute zuhauf. "Reisende sollten sich erkundigen, ob in ihrer Reiseregion ein Risiko für eine Übertragung besteht und sich von einem reisemedizinisch qualifizierten Arzt oder Apotheker über effektiven Zeckenschutz beraten lassen", empfiehlt beispielsweise Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Reisemedizin (CRM) unter Hinweis auf das Krim-Kongo hämorrhagische Fieber – kaum ein Apothekenkunde aber hat jemals von der tückischen Erkrankung gehört, die beispielsweise für Türkeireisende bedroht.
Seuchenprävention, Reisemedizin, vor allem aber Beratung. Wer als Apotheker auf die Taktik der Volksaufklärung setzt, hebt sich vom Gros der Internetpendants ab – zweifelsohne lassen sich die meisten Hilfsmittel und Medikamente online günstiger einkaufen, der Trend scheint unumkehrbar. Doch die persönliche Beratung vor Ort ersetzen die Discounter im on- und offline-Bereich nicht. Die eigene Apotheke zum medical social network avancieren zu lassen wäre daher ein weiterer, zukunftsträchtiger Schritt. Banken machen es beispielsweise im EU-Ausland vor: Kleine Café-ähnliche Bereiche, in denen Kunden bei einer Tasse Latte Macchiato über die bevorstehenden oder gerade abgeschlossenen Geschäfte mit eigens dazu präsenten Mitarbeitern der Bank reden, gelten als Renner. Die Vorstellung, den Cappuccino mit der Atemschutzmaske in der Tasche beim Beratungsgespräch zu genießen und dabei über Krim-Kongo in der Türkei zu sinnieren mag deutschen Kunden noch weltfremd vorkommen – als Strategie für die Zukunft ist sie es nicht.