Seltene Erkrankungen lassen sich in den wenigsten Fällen wirksam therapieren. Biohacker wollen das ändern – und experimentieren dazu an ihrer eigenen DNA. Nebenwirkungen und Verbote halten die Hacker nicht ab. Doch haben sie auch Erfolg?
Weltweit gibt es schätzungsweise 8.000 seltenen Krankheiten (Orphan Diseases). Nach europäische Kriterien ist eine Orphan Disease entweder lebensbedrohlich oder bringt chronische Invalidität mit sich. Außerdem sind von einer solchen Erkrankung weniger als fünf von 10.000 Einwohnern betroffen. Laut Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BDI) ist nur etwa ein Prozent aller seltenen Erkrankungen medikamentös behandelbar. Das Genediting per CRISPR/Cas-System verspricht in vielen Fällen Abhilfe. Hier werden einzelne mutierte Abschnitte des Erbguts durch funktionsfähige Sequenzen ersetzt. Das funktioniert im Labor, führt aber auf politischer Ebene zu hitzigen Debatten.
Ende Juli hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass per gezielter Mutagenese veränderte Lebensformen grundsätzlich als genetisch veränderte Organismen zu betrachten sind (Az.: C-528/16). Sie unterliegen damit Zulassungs-, Kennzeichnungs- und Überwachungspflichten. Das war bislang nicht der Fall. Mit Hilfe radioaktiver Strahlung oder erbgutverändernder Chemikalien erzeugte Züchtungen sind wenig nachvollziehbar davon ausgenommen. Das Urteil soll eigentlich die Pflanzenzüchtung regulieren, stellt Forschungsprojekten zum CRISPR/Cas-System aber neue Hürden in den Weg. Wir erinnern uns: Nur bei den wenigsten seltenen Erkrankungen gibt es Therapien. Viele Patienten stehen mit dem Rücken zur Wand. Entweder sie handeln – oder sie sterben.
CRISPR/CAS ist so einfach anzuwenden, dass Laien damit arbeiten können. Über das Internet erhalten Interessierte Do-it-yourself-Kits, um bakterielle Genome zu editieren. Solche Boxen kosten im Netz zwischen 159 und 1.699 US-Dollar, eignen sich aber auch für Experimente am menschlichen Erbgut. „Dies ist das erste Mal in der Geschichte der Erde, dass Menschen nicht mehr Sklaven der Genetik sind, mit der sie geboren wurden“, so Josiah Zayner, ein ehemaliger NASA-Biologe. Als CEO von The Odin vertreibt der Experte unter anderem entsprechende Baukästen. Josiah Zayner mit seinem CRISPR-Gen-Editing-Kit © Josiah Zayner, The ODIN Er plädiert dafür, Wissenschaft vom akademischen Umfeld zu „entfesseln“. Zayner war bei seinen Experimenten stehts in vorderster Reihe mit dabei. Der Experte hat versucht, Myostatin-Gene im eigenen Körper auszuschalten. Das Protein hemmt unser Muskelwachstum. Wird das Protein durch einen Knock-out ausgeschaltet vermehren sich die Muskelzellen unkontrolliert, wie bei diesen Knock-out-Tieren: Myostatin-Knock-out-Hund (links) und Wildtyp. © Technology Review Eigenen Angaben zufolge hat er zwar nach seinem Selbstversuch noch keine Effekte gesehen. „In ähnlichen Experimenten mit Tieren sehen Sie erst nach vier bis sechs Monaten der Behandlung Ergebnisse“, so Zayner. Ihm geht es aber um die Möglichkeit, neue Technologien bei breiten Bevölkerungsschichten populär zu machen: „Die technische Machbarkeit von dem, was ich gemacht habe, stehen außer Frage – das haben die Forscher schon oft bei allen möglichen Tieren getan. Aber es gibt eine Barriere: Menschen haben Angst.“
Ähnlich beherzt ging Justin Atkin, ein Biohacker aus den USA, zur Sache. Seit Jahren leidet er an Lactoseintoleranz. Sein Körper stellt aufgrund genetischer Defekte keine funktionsfähige Laktase her. Kausale Therapien gibt es nicht. Insofern handele es sich um ein gutes Modell für Orphan Diseases, schreibt Atkin. Im Garagenlabor hat er virale Vektoren, also Viren, die Zellen infizieren, aber keine Erkrankung auslösen, mit Sequenzen für Laktase ausgestattet. Mutig schluckte er drei Kapseln mit seinem Konstrukt und hoffte, dass Zellen seiner Darmschleimhaut die Vektoren aufnehmen und künftig die fehlenden Enzyme produzieren. Eigenen Angaben zufolge war sein Experiment erfolgreich. Damit nicht genug: Auf einer Biohacking-Convention in Texas injizierte sich ein Mann live experimentelle Therapien gegen Herpes. Ein anderer versuchte, seine HIV-Infektion mit genetischen Tools zu heilen. Ergebnisse der Experimente wurden bislang nicht publiziert. Klassische Orphan Diseases wie Chorea Huntington oder seltene Stoffwechselerkrankungen stehen ebenfalls im Fokus der Biohacker. Ihre Methode sei universell anwendbar, behaupten sie.
Biohacker sorgen mit ihrer Arbeit für viel Gesprächsstoff. Als zuständige Behörde findet die US Food and Drug Administration (FDA) deutliche Worte zu Genbaukästen: „Der Verkauf dieser Produkte ist gesetzlich verboten. Die FDA ist besorgt im Bezug auf die Sicherheitsrisiken.“ Sie weist Verbraucher darauf hin, dass „jede Gentherapie, die Verbraucher in Erwägung ziehen, entweder von der FDA zugelassen sein muss oder unter Aufsicht der zuständigen Behörden untersucht wird“. Konkrete Produkte werden nicht genannt. Onkologen weisen ergänzend auf mögliche Krebsrisiken hin, falls durch Fehler Abschnitte mit Relevanz für das Zellwachstum oder den Zelltod verändert werden. Diese Protoonkogene triggern maligne Erkrankungen. Außerdem fand Carsten T. Charlesworth, Forscher an der Stanford-Universität, in Blutproben von Probanden Antikörper und antigenspezifische T-Zellen gegen Cas9-Proteine. Damit könnte es bei der CRISPR-Methode zu schweren Immunreaktionen kommen. Charlesworth erklärt seinen Befund mit der ursprünglichen Herkunft von Cas9-Proteinen. Sie wurden im Labor aus Staphylococcus aureus oder Streptococcus pyogenes isoliert. Doch sollten Patienten angesichts medizinischer Risiken oder gesetzlicher Einschränkungen die Flinte ins Korn werfen? Das sieht der Biohacker Josiah Zayner anders: „Wie viele Menschen können möglicherweise daran sterben, wenn sie ihre eigenen Produkte anwenden [also Therapien aus dem DIY-Baukasten, Anmerkung der Redaktion] im Gegensatz zur Zahl an Patienten, die seltene genetische Störungen haben und gerade sterben, weil es keine Therapie gibt.“ Sein Fazit: Durch Biohacking bietet sich eine größere Chance, genetische Erkrankungen zu überleben, verglichen mit dem Warten auf zugelassene Therapien.