Mediziner testeten vor über 25 Jahren einen Impfstoff gegen HBV. Jetzt vermelden Forscher in Taipeh erstaunliche Eigenschaft des Vakzins: Die Spritze scheint den späteren Ausbruch von Leberkrebs zu verhindern.
An sich waren die Statistiken über die Erkrankung seit jeher beeindruckend: Hepatitis B zählt weltweit nach wie vor zu den häufigsten schweren Leberinfektionen. Leberschäden, Leberzirrhose und Leberkrebs sind die Folge des unsäglichen Virenbefalls. Rund zwei Milliarden Menschen haben sich weltweit HBV-infiziert, eine Million Patienten versterben jährlich an den Folgen der Infektion. Kein Wunder demnach, dass im Juli 1984 in Taiwan eine dort bis dahin einzigartige Aktion startete: Alle Neugeborenen erhielten die immunisierende Impfung gegen HBV.
HBV-Impfung bei Geburt ließ Leberkrebsrate senken
Diese Woche berichtet Mei-Hwei Chang von der Pädiatrischen Klinik des National Taiwan University Hospital in Taipeh über die Folgen der Aktion – und über eine beachtliche Entdeckung. Mehr als 2000 Patientendaten, schreiben die Autoren um Chang im Fachblatt Journal of the National Cancer Institute (JNCI 2009; doi: 10.1093/jnci/djp288), ließen vor allem einen Schluss zu: Die bei Geburt verabreichte Impfung gegen HBV lässt die Leberkrebsrate bis zum Erwachsenenalter deutlich sinken.
Chang untersuchte die Patientendaten von 2000 Menschen, bei denen zwischen 1983 und 2004 ein Leberkrebs diagnostiziert wurde, und die zum Zeitpunkt der Diagnose zwischen sechs und 29 Jahre alt waren. 64 Fälle ließen sich der Gruppe der HBV-geimpften zuordnen, immerhin 38 Millionen Patientenjahre dienten hierbei als statistische Basis. Erst der Blick auf die Gruppe der nichtgeimpften Krebskranken offenbart den signifikanten Unterschied. Denn in 80 Millionen Patientenjahren traten die Tumore hier bei 444 Menschen auf – eine erheblich höhere Rate als in der HBV-Vakzin Gruppe.
Neubewertung der HBV-Impfung
Dass der gegen HBV gerichtete Impfstoff eine spätere Leberkrebsentwicklung hemmt, belegen Chang zufolge auch weitere Beobachtungen, wonach jene Patienten, die zu wenig Dosen der Mehrfachimpfung erhielten, ebenfalls öfter an Leberkrebs erkrankten. „Die Daten lassen vermuten, dass die HBV-Immunisierung über einen Zeitraum von über zwanzig Jahren hepatozellulären Krebs verhindern kann“, folgert Chang. „Die Hepatitis-B-Impfung hat die Zahl der hepatozellulären Krebserkrankungen bei den unter 30-Jährigen um 69 Prozent gesenkt“, jubelte nur einen Tag nach der Publikation auch das Deutsche Ärzteblatt.
Tatsächlich müssten die Studienergebnisse in Taiwan hierzulande zu einer Neubewertung der HBV-Impfung führen. Noch scheint man jedoch davon weit entfernt, wie ein exemplarischer Blick auf die Empfehlungen der Landesärztekammer Sachsen zeigt. Die nämlich besagten an Tag drei nach den Ergebnissen aus Taipeh, dass Ärzte auch gefährdete Kinder impfen sollten – und konzentrieren sich auf altbackene Binsenweisheiten. „In allen Fällen wird die so post partum begonnene Grundimmunisierung nach einem Monat durch eine 2. Injektion und 6 Monate nach der ersten Injektion durch eine 3. Injektion von aktiver HBV-Vakzine komplettiert“, schreibt dazu die Landesärztekammer, und: „Nach Abschluss der Grundimmunisierung ist eine serologische Kontrolle erforderlich: HBs-Ag-, Anti-HBs-, Anti-HBc-Bestimmung“ erforderlich. In Punkto Leberkrebs bleibt das Vakzin ein weißer Fleck auf der medizinischen Online-Landkarte, wie der genaue Blick auf die Empfehlungen attestiert.
Auklärung in deutschen Kinderarztpraxen
Dass Kinderärzte trotz langsam mahlender gesundheitspolitischer Verwaltungsmühlen nicht vor einem unlösbaren Problem stehen, verdanken sie einem anderen Aspekt. Die Grundimmunisierung gegen HBV erfolgt in Deutschland seit 1995 bereits bei Säuglingen zusammen mit den anderen Standardimpfungen in mehreren Schritten. Zudem werden die Impftermine üblicherweise bei der Vorsorgeuntersuchung U3 festgelegt, die Kinder erhalten also, wenn aus anderen Gründen, die nützliche Vakzinfracht. Einzig die Aufklärungsarbeit müsste sich nun in Kinderarztpraxen ändern: Als positive Nebenwirkung steht jetzt die potenzielle Leberkrebsprävention auf dem Plan.