Ohne ausreichend Blutspenden haben Ärzte bei Notfällen ein großes Problem. Vor allem der Bedarf von Patienten mit seltenen Blutgruppen lässt sich kaum über Spenden decken. Biochemiker stellen jetzt ein effizientes Verfahren vor, um rote Blutkörperchen im Labor zu produzieren.
„Zu wenig Blutkonserven: Uniklinik Köln ruft zu Spenden auf“, „Augsburg: Spender dringend gesucht“, „Ärzte verschieben Routine-Eingriffe“: Zwischen September und Dezember 2016 traten vielerorts Versorgungsengpässe auf. Blutspendedienste geben vor allem die niedrige Bereitschaft vieler Bürger als Erklärung an. Kommt es zu mehr OPs, etwa in Zeiten mit erhöhtem Unfallaufkommen, reichen die Vorräte nicht aus. Bislang haben Kollegen wenige Alternativen zum Spenderblut.
Geht es primär um den Flüssigkeitsverlust, stehen Plasmaexpander zur Verfügung. Das sind isotonische Lösungen mit Dextranen oder Hydroxyethylstärke. Sie transportieren jedoch weder Sauerstoff noch Kohlendioxid. Forscher arbeiten bei Blutersatzmitteln deshalb an zwei Strategien: Sie bereiten humanes Hämoglobin aus abgelaufenen Blutkonserven oder aus tierischem Blut chemisch auf, um die ursprüngliche Struktur zu stabilisieren und den Zerfall des wichtigen Moleküls in seine beiden Dimere zu verhindern. Meinungsumfrage der DRK- Blutspendedienste Alternativ bleibt rekombinantes humanes Hämoglobin, dessen Dimere über Modifikation ihrer Aminosäurensequenz stabil miteinander verbunden sind. Eine andere Möglichkeit sind Perfluorcarbone (PFC) wie Perflunafen oder Perflubron. Die Chemiaklien lösen Sauerstoff beziehungsweise Kohlendioxid, mischen sich aber nicht mit Wasser. Deshalb kommen Emulsionen zum Einsatz, zur Stabilisation werden unterschiedliche Hilfsstoffe verwendet. Problem: Sowohl Hämoglobin als auch PFC erfüllen die biologischen Funktionen roter Blutkörperchen ansatzweise, gehen aber mit gesundheitlichen Risiken einher. Perfluorcarbonemulsione belasten das retikulohistiozytäre System, das Teil des Immunsystems ist. Und Hämoglobin-Derivate werden mit Herzinfarkten in Verbindung gebracht. Viele Gründe, warum Blutersatzstoffen der Durchbruch bislang ausgeblieben ist. Als große Hoffnung bleibt die Gewinnung von Blutzellen im Labor.
Bisher konzentrierten sich Wissenschaftler auf gespendete autloge hämatopoetische Stammzellen und deren Umwandlung in Erythrozyten. Auch hier wird regelmäßig Material von Freiwilligen benötigt, weil jede dieser Stammzellen lediglich 50.000 rote Blutkörperchen hervorbringt. Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) scheinen eine günstigere Quelle zu sein, wobei es noch technische Schwierigkeiten gibt. David J. Anstee und Jan Frayne von der NIHR Blood and Transport Research Unit ist es jetzt erstmals gelungen, immortalisierte Zelllinien zu erzeugen, um Erythrozyten effizient herzustellen. Basis ihrer Arbeit waren normale Erythroblasten aus dem Knochenmark. Anschließend wurde genetisches Material aus humanen Papillomaviren eingebracht und aktiviert. Auch nach 190 Tagen im Labor zeigten die roten Blutkörperchen keinerlei Alterung. Immortalisierte Erythrozyten zeigen keine Veränderung der zellulären Morphologie seit Beginn ihrer Teilung in vitro. © University of Bristol Die Kultur in kleinen Glasgefäßen sei Anstee und Frayne zufolge ein erster Schritt in Richtung Produktion. Sicherheitsbedenken sehen die Autoren nicht. Bei der Reifung von Erythrotyten wird der Zellkern inklusive fremder Nukleinsäuren eliminiert.
„Die erste therapeutische Verwendung eines Produkts mit Erythrozyten wird wahrscheinlich bei Patienten mit seltenen Blutgruppen sein, da sich der Bedarf über Spenden kaum decken lässt“, so Professor Dave Anstee, „ansonsten profitieren Menschen mit komplexen Bluterkrankungen wie der Sichelzellanämie und Thalassämie von unserer Forschung.“ Bei ihnen seien mehrere Transfusionen erforderlich, das Blut lasse sich künftig besser auf deren Bedürfnisse abstimmen. Anstee: „Es geht primär nicht darum, Blutspenden zu ersetzen, sondern Therapiemöglichkeiten für spezifische Patientengruppen zu bieten.“