Lange Jahre war Paracetamol das OTC-Schmerzpräparat schlechthin. Ab April werden Großpackungen jetzt verschreibungspflichtig. Die Kehrtwende markiert die vorerst letzte von mehreren Neuerungen, die die Selbstmedikation bei Schmerzen für den Apotheker komplexer machen.
Keine Frage, Paracetamol war bisher ein ziemlich dankbares Präparat für die schmerzlindernde Selbstmedikation. Es ist für Kinder und Erwachsene geeignet. Es macht scheinbar keine kardiovaskulären Schwierigkeiten. Es lässt den Magen-Darm-Trakt in Ruhe. Und trotz alledem beseitigt es effektiv Schmerzen vieler Art. Beim Pharmacon 2009 der Bundesapothekerkammer zeichnete der Apotheker Dr. Eric Martin von der Hubertus-Apotheke Marktheidenfeld jetzt ein etwas differenzierteres Bild des liebsten Schmerzmittels der Deutschen. „Mir scheint, wir sehen Paracetamol positiver als es tatsächlich ist“, so Martin.
Vorsicht bei Alkohol plus Paracetamol!
Aktueller Anlass für eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit der OTC-Schmerztherapie ist eine Änderung bei der Rezeptpflicht bei Paracetamol: Ab April sind Großpackungen mit mehr als 10 Gramm verschreibungspflichtig. Grund für diesen Schritt der Aufsichtsbehörden sind die häufigen Überdosierungen. „Wir haben pro Jahr über 4000 Giftberatungsfälle zu Paracetamol in Deutschland. In den USA sind es sogar über 100.000“, berichtete Martin. Eine Paracetamol-Intoxikation kann zu akutem Leberversagen führen. Dieses endet – auch wenn es erkannt wird – je nach Interventionszeitpunkt bei bis zu jedem fünften Betroffenen tödlich. „Zwei Drittel der Giftberatungsfälle zu Paracetamol in Deutschland sind Suizidversuche. Die Rezeptpflicht für Großpackungen zielt aber vor allem auf versehentliche Überdosierungen“, so Martin. Kleinkinder, kachektische Patienten und Senioren sind besonders gefährdet. Auch bei Alkoholabhängigen will die Abgabe von Paracetamol wohl überlegt sein. Alkohol induziert das Enzym Cytochrom p450 2E1, das auch Paracetamol in seinen hepatotoxischen Metaboliten verwandelt. Leberschäden durch Alkohol und Paracetamol addieren sich deswegen. Martin: „Kritisch sind vor allem kurze Abstinenzphasen, in denen das Paracetamol auf ein hoch induziertes Enzym trifft, ohne dass Ethanol um die Bindungsstellen konkurriert.“
Die Wiederauferstehung des Koffeins
Zu allem Überfluss mehren sich in letzter Zeit die Hinweise darauf, dass Paracetamol auch in Sachen kardiovaskuläre Erkrankungen keineswegs so narrensicher ist wie oft postuliert. „Es scheint eher wie ein milder COX-2-Inhibitor zu wirken, freilich ohne deren antiphlogistisches Potenzial“, erläuterte der Experte in Davos. Stimmt das, dann sollte die kardiovaskuläre Ereignisrate bei Dauertherapie mit Paracetamol ansteigen. Und genau das legen diverse Registerstudien nahe, die im Gefolge der Coxib-Diskussionen aufgelegt worden waren.
Einfacher wird die OTC-Schmerztherapie durch diese neuen Erkenntnisse nicht. Doch das ist sie ohnehin nicht mehr. Von vielen noch gar nicht richtig bemerkt, haben sich in den letzten Jahren vor allem in der Kopfschmerztherapie die altbekannten Analgetika-Koffein-Kombinationen wieder in den Vordergrund geschoben. Die waren lange Zeit komplett verpönt, und nicht wenige Apotheker wie Ärzte scheuen sie noch heute wie der Teufel das Weihwasser. In großen Studien der letzten Jahre, darunter auch einer deutschen Studie aus Essen, waren die Kombinationen den jeweiligen Monotherapien mit ASS, Ibuprofen oder Paracetamol aber signifikant überlegen. Vor allem beim Spannungskopfschmerz, aber auch bei der Migräne sind sie deswegen in den Leitlinien mittlerweile zu einem Mittel der ersten Wahl aufgerückt.
Individuelle Beratung ist das A und O!
Aber hallo, wird da der eine oder andere einwenden. Viele der in Apotheken in aller Welt erhältlichen Koffein-Kombinationen enthalten nicht nur „Analgetikum plus Koffein“, sondern oft auch noch Kombinationen unterschiedlicher Analgetika. Und genau davor warnen nicht zuletzt Paracetamol-Kritiker immer wieder: „Bei 38 Prozent aller Paracetamol-Überdosierungen werden Kombinationen aus mehreren Präparaten eingenommen“, weiß Martin. Hier setzt dann die pharmazeutische Beratung an. Der Kopfschmerzpatient ohne Dauermedikation, der seine gelegentlichen Schmerzattacken effektiv lindern möchte, ist mit Koffein-Kombinationen gut und leitliniengemäß therapiert. Der Grippepatient mit Kopfschmerz fährt dagegen unter Umständen mit einem Monopräparat besser, zumal wenn er analgetikahaltige Grippemittel schluckt oder ein erhöhtes Risiko für Überdosierungen besteht. Dass es dann noch den Migränepatienten gibt, für den seit 2006 mit Naratriptan auch ein Präparat aus der Gruppe der Triptane „over the counter“ zur Verfügung steht, sei hier nur am Rande erwähnt. Die große Bedeutung der individuellen pharmazeutischen Beratung zeigt sich im Bereich der OTC-Schmerztherapie jedenfalls allemal.